Volkstrauertag in Sendenhorst - Frieden fängt im Kleinen an

Sendenhorst - Christian Hölscher, Vorsitzender des Heimatvereins, erinnerte in seiner Ansprache zum Volkstrauertag an die Gewalt und das Elend der beiden Weltkriege und der vielen weiteren Kriege.

Am Mahnmal am Osttor rief der Vorsitzende des Heimatvereins, Christian Hölscher, dazu auf, die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen, sondern den Finger immer wieder in die Wunde zu legen. Foto: Anke Weiland

Der diesjährige Redner zum Volkstrauertag, Heimatvereinsvorsitzender Christian Hölscher, erinnerte in seiner Ansprache am Mahnmal an die Gewalt und das Elend der beiden Weltkriege und der vielen weiteren Kriege. Mit voller Überzeugung forderte er: „Nie wieder Krieg.“

Zur Zeit des Nationalsozialismus sei dieser Tag auch als „Heldengedenktag“ gefeiert worden. „Ich befürchte, es werden wieder mehr Menschen, die diesen Tag so feiern“, sagte er nachdenklich. Der Vorsitzende des Heimatvereins erinnerte an die Konflikte in der Welt am Beispiel der Ukraine. „Dass ein ruhiges Land sich innerhalb weniger Wochen in ein Kriegsgebiet verwandelt, haben wir nicht für möglich gehalten.“ Er hoffte, dass die Lage dort und in der Welt nicht weiter eskalieren möge.

„Die Konflikte in Syrien und im Irak machen uns zutiefst betroffen“, so Hölscher weiter. Die Menschen dort würden im Chaos und Elend versinken und unter unmenschlichen Bedingungen versuchen, zu überleben oder zu flüchten. „Wir müssen angesichts dessen jetzt besondere Menschlichkeit zeigen“, mahnte Hölscher an.

„Lassen wir die Vergangenheit ruhen“: Dieser oft gehörten Aufforderung könne er sich aufgrund der vielen Konflikte in der Welt und des wieder stärker aufkommenden Rechtspopulismus nicht anschließen.

Im Gegenteil: Es zeige sich, dass „noch nicht Schluss sein darf mit der Erinnerung.“ „Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen.“ Der Blick zurück könne die Wachsamkeit aufrecht erhalten.

 

Hier die Rede im Original:

1. Teil an der Stele der Synagoge

Sehr geehrte Damen und Herren, - sehr geehrter Hr. Bürgermeister, - liebe Sendenhorster und mit dem Ort verbundene Bürger,

Wir haben uns hier an dieser Stelle versammelt, - um gemeinsam den Volkstrauertag zu begehen. - Wir gedenken heute den Opfern der Weltkriege- , aber auch allen Opfern von Krieg und Gewalt. - Von zahlreichen Kriegen in aller Welt erreichen uns täglich grausame Bilder - aus dem Fernsehen und dem Internet.

Nie wieder Krieg,-  das sollte für alle die Lehre aus diesen Ereignissen sein. Es mag Kriege geben, die eine Legitimation besitzen, z.B. der Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat, der zz in seine entscheidende Phase zu treten scheint. Aber Krieg bedeutet immer Not, Leid, Elend und Tod.

Frieden beginnt aber auch immer im Kleinen, im menschlichen. Achtung vor dem Andersdenkenden, Respekt gegenüber Mitmenschen, egal welcher Hautfarbe, Nationalität, Religion, sexueller Orientierung, Respekt gegenüber Umwelt, so kann Frieden immer Kleinen gelebt werden!

Es ist mir als Vorsitzender des Heimatvereins eine ganz besondere Ehre, sie hier an dieser Stelle zu begrüßen zu dürfen. An dieser Stelle finden wir eine Gedenkstele von dem Sendenhorster Ehrenbürger Bernhard Kleinhans, die auf die ehemalige Synagoge unserer jüdischen Gemeinde hinweist.

Diese Synagoge war Mittelpunkt einer lebendigen Gemeinde, die unser Stadtleben entscheidend mitgeprägt hat. Der Raum war wohl eher ein Betraum, nichts destotrotz ein Versammlungsraum, an dem mindestens 10 Juden zusammen kamen und somit ihren Gottesdienst feriern konnten. Die jüdische Gemeinde bestand in Sendenhorst von 1693 - 1904 und umfasste zeitweilig bis zu 100 Personen.
Heute kann man Reste der jüdischen Kultur in unserer Stadt auf dem Begräbnisplatz auf dem Ostenwall betrachten. Ein wunderbar stiller Ort, der den Bürgern erst seit dem letzten Jahr wieder vollkommen offen steht.

Die jüdische Bevölkerung war auch immer Diskriminierungen ausgesetzt. So wurde bei der Aufteilung der Gemeinschaftshude Ostheide unter der Sendenhorster Bevölkerung die jüdische Bevölkerung schlichtweg übergangen. Auch das die letzte jüdische Familie Sendenhorst 1904 verlassen hat, deutet auf ein eher zwiegespaltenes Verhältnis zur Bevölkerung hin. Das der jüdische Friedhof über die Zeit der Nazis erhalten geblieben ist, grenzt an ein Wunder, zumal es nicht an Versuchen gemangelt hat, diesen Begräbnisplatz zu vernichten.

Im Anschluss gehen wir nun gemeinsam zum Ehrenmal.

2. Teil - Ehrenmal
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Hr. Bürgermeister, liebe Freunde Sendenhorsts

es bedeutet mir viel, heute – an diesem Feiertag – hier in Sendenhorst zum Volkstrauertag -  sprechen zu dürfen. Ich bedanke mich daher sehr für diese Einladung.

Der Volkstrauertag ist der wohl schwierigste Feiertag, den wir in Deutschland begehen. Ein Tag, an dem wir hin- und hergerissen zwischen Vergangenheit und Gegenwart sind, an dem gerade eben unsere Vergangenheit uns besonders schmerzhaft bewusst wird und an dem unsere Verantwortung in der Gegenwart besonders eindrücklich präsent ist. Aber auch einen Tag, dessen Bedeutung selbst sich immer wieder gewandelt hat und der Facetten in seiner Geschichte hat, die so gar nichts mit der heutigen Bedeutung zu tun hat.

Wir erinnern uns heute an die Gräueltaten, an das Leid und an die Gewalt in den beiden Weltkriegen, wir erinnern uns aber auch an die Kriege davor und an die Kriege danach. Wir tun dies heute mit vollster Überzeugung: Nie wieder Krieg.

Es ist aber noch gar nicht so lange her, in der Zeit des Nationalsozialismus, da hieß dieser Tag Heldengedenktag.

Man darf nicht übersehen: Auch heute noch, im Jahr 2016 – 98 Jahre nach Ende des ersten Weltkriegs und 71  Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs, gibt es immer noch viele Menschen, die an diesem Tag ein Heldengedenken feiern. Und manchmal fürchte ich, es werden wieder mehr.

Und dann, wenn wir den Blick einmal weglenken von Deutschland, von unserer heute so sicheren, so friedlichen und sozialen Umgebung, dann sehen wir: Um uns herum toben noch immer Konflikte, und es scheint von Monat zu Monat schlimmer zu werden.

Die Ereignisse 2014 in der Ukraine haben uns sehr erschreckt, dort herrscht nun schon 2 Jahre Krieg, gerade deshalb, da wir diese alte Konfliktlinie zwischen Ost und West für gelöst betrachtet hatten. Dass ein bis vor kurzem noch recht stabiles, entwickeltes, ruhiges Land innerhalb weniger Wochen sich in ein Kriegsgebiet verwandeln kann, haben wir nicht mehr für möglich gehalten.

Und auch heute, wo zwar ein Abkommen Minsk 2 die Konfliktparteien trennen soll, ist die Lage äußerst instabil. Wir alle hoffen aus tiefsten Herzen, dass die Lage dort, genauso wie auch die Weltlage, trotz zunehmender aggressiver Töne, in den nächsten Jahren nicht weiter eskaliert! Die Angst vor einem nuklearen Overkill, sowie in den 1980ern Jahren empfunden, ist mir und wahrscheinlich noch vielen der hier Anwesenden noch stark in Erinnerung geblieben!

Die Situation in Syrien und im Irak macht uns zu tiefst betroffen. Diese Staaten mit einer Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende alten Kultur versinken im Chaos und Elend. Ich kann meinem Entsetzen über das, was uns von dort an Berichten erreicht, kaum Worte verleihen. Uns erreichen gerade täglich Bilder, aus Aleppo, aus Mossul, die an Grausamkeit, ja Perversion, kaum vorstellbar waren.

Die aus diesem Konflikt resultierenden Flüchtlingsströme, das Leid der Menschen, die in der Türkei unter unmenschlichen Bedingungen versuchen zu überleben, die auf der Überfahrt ins scheinbar sichere Europa ums Leben kommen, lassen uns ganz klar erkennen:
Wir, hier zuhause in Deutschland und Europa, müssen gerade in dieser Zeit und angesichts dieser Gräueltaten besondere Menschlichkeit zeigen. Die Integration der hier angekommenen Flüchtlinge sollte angesichts des brutalen Krieges in deren Heimat und aus reiner Menschlichkeit eine Selbstverständlichkeit sein.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Heimatfreunde,

77 Jahre nach dem Beginn des zweiten Weltkriegs und 102 Jahre nach Beginn des ersten Weltkriegs werden wir immer wieder mit einer Aussage konfrontiert: Lassen wir die Vergangenheit ruhen, es müsse nun Schluss sein, mit den Rückblicken, mit den Schuldgefühlen, mit der Trauer. Angesichts von über 50. Mio. Toten, die der 2. Weltkrieg gefordert hat und über 6 Mio. ermordeter Juden in Europa, den unglaublichen Verbrechen, die in der Zeit des Nationalsozialismus begangen wurden,  
aber auch in der heutigen Zeit:
Krisen, Terror und Mord auf der ganzen Welt, angesichts von rechtem NSU-Terror und wachsenden Zulauf zu populistischen Parteien und rechtsextremen Gruppen und sonstigen rechten Rattenfängern, die scheinbar so einfache Lösungen anbieten, zeigt sich ganz deutlich:

Es darf noch lange nicht Schluss sein darf mit der Erinnerung an diese Zeit. Derartige Extremisten dürfen nie wieder in Deutschland Macht erhalten!

Daher bin ich über Tage wie diesen hier heute dankbar. Tage, die es einem nicht leicht machen und immer wieder den Finger in die Wunde legen – und uns erinnern.  Denn Tage, die uns bewusst machen, welche Geschichte uns geprägt hat, lassen uns die Gegenwart und die Herausforderungen der Zukunft klarer erkennen. Der Blick zurück kann uns wachsamer und aufmerksamer machen und uns vor dem warnen, was kommen kann.

Eine lebendige Erinnerungskultur zu pflegen, dazu möchte auch der Heimatverein beitragen. Geschichte und Geschichten aus Sendenhorst darzustellen, auch aus der NS-Zeit, sehen wir als ein großen Aufgabe und auch als eine Verantwortung.

Frieden beginnt auch immer im Kleinen, im menschlichen Miteinander.
Achtung vor dem Andersdenkenden, Respekt gegenüber Mitmenschen, egal welcher Hautfarbe, Nationalität, Religion, sexueller Orientierung, Respekt gegenüber Umwelt, so kann Frieden im Kleinen gelebt werden!

Daher bin ich Menschen wie Ihnen dankbar, die sich für diese Erinnerungen und gemeinsamen Werte  engagieren.
Nie wieder Krieg - Demokratie schützen, zu wahren, sich einzusetzen für die Freiheit und Toleranz – das ist das wichtigste.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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