Sendenhorster Brenner aus dem Blickwinkel eines Kindes

In meiner Kindheit hatte ich eine ganz besondere Beziehung zu der Gastwirtschaft

und Brennerei Silling an der Oststraße, die auch „Osten-Silling“ genannt wurde.Zum einen gehörte es zu meinen regelmäßigen Aufgaben, für meinen Opa in dem Silllingschen Gasthof Korn zu holen, der aus einem Fass im Keller zur Theke gepumpt und dort mittels eines Hahnes in den mitgebrachten Flachmann gefüllt wurde.Wenn ich den Gastraum betrat, kam Josef Silling aus den hinteren Räumen nach vorne. Er sprach wenig, bediente seine Gäste verbindlich aber nicht überschwänglich und er hielt den Kopf immer ein wenig schräg. Er war ein bescheidener und ruhiger Mann, der sich mit seiner großen Familie – Sillings hatten mindesten 5  in der - alle Mühe gab, die kleine Landwirtschaft, den Gasthof und die Brennerei aufrecht zu erhalten. Mit im Haus lebte auch ein unverheirateter Bruder, ein „Öhm“, der nicht so gerade gewachsen war wie andere. Oft stand er im Gastraum an der Seite, bediente wohl auch manchmal in Notfällen, ohne aber eine wirkliche Aufgabe zu haben.

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Aber auch die Rückseite des Sillingschen Betriebes war mir wohlbekannt.Wenn in der Winterzeit das Futter für unsere Kühe knapp wurde, schickten mich meine Eltern mit einem Bollerwagen und zwei alten Milchkannen zu Silling, um Schlempe zu holen. Im Hof stand eine Pumpe, mit der das begehrte Viehfutter aus einem unterirdischen Bunker nach oben in meine beiden großen Milchkannen befördert werden konnte. Die Bezahlung erfolgte in der Regel am nächsten Sonntagmorgen durch meinen Vater nach dem Kirchgang. Der Kirchgang und der Besuch der Gaststätten – das gehörte einfach zusammen.

Das führte dazu, dass nach der Messe alle Gaststätten brechend voll waren. Mein Vater ging immer zu Silling oder – gleich gegenüber – zu Peiler.
Nur ein paar Meter weiter Richtung Kirche lag die Gastwirtschaft und Brennerei Lainck- Vissing (heute Börse). In grüner Lodenkleidung, grünen Kniestrümpfe, braunen Lederschuhe oder Holzklotzen stand Herr Lainck-Vissing an dem heute nicht mehr 

Abb.147: Porträt Heinrich Lainck-Vissing Abb.148: Ehepaar Lainck-Vissing im Hof des Grundstücks. Auf der Wand über der Sitzecke ist zu lesen: “Was Du ererbt von den Vätern, erarbeite es, um es zu besitzen.“

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existierenden Brennereieingang an der Oststraße, wo die Fässer herausgerollt wurden oder auch Material angeliefert wurde. Immer hatte er die Daumen in der Weste stecken und er schaute nach links und rechts, was sich so auf der Straße tat Frau Lainck-Vissing war immer sehr gepflegt und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie in der Landwirtschaft arbeitete, was übrigens auch auf ihren Mann zutraf. Er besaß eine Art Federwagen, eine Mischung zwischen Ackerwagen und Kutsche, ein verkürzter Wagen mit Ladefläche. Häufig fuhr er damit in aller Ruhe vorbei an unserem Haus,
um auf den Feldern nach dem Rechten zu sehen. Schon der Weg dorthin dauerte mindestens eine halbe Stunde.Wenn hingegen sein Knecht – er hieß Recker – vorbei kam, dann ging es flotter und der Wagen war mit Werkzeug, Geräten usw. beladen.

Als Brenner war Vissing ein wahrer Feinschmecker, was die Wasserqualität anging.Wir fühlten uns sehr geschmeichelt, als er einmal Wasser von der Pumpe unserer Wiese entnahm und meinte, es sei einzigartig und viel besser als jedes andere,was er sonst kenne. Das tat uns gut, dass Vissing unser Pumpenwasser mochte und wir haben das dann auch weiter erzählt! Vissing trank unser Wasser! Vissings besaßen vor der Stadt in der Nähe unseres Hauses eine Scheune, in der Stroh und größere Maschinen untergebracht waren. Das Gebäude stand ganz alleine auf weiter Flur, und zwar dort, wo jetzt die Maschinenfabrik Peters ist. Ob und wieviel Vieh man an der Oststraße hinter der Brennerei und Gastwirt-schaft hielt, vermag ich nicht zu sagen. Ich erinnere mich nur, dass man immer wieder sah, dass Schlempe aus den Brennereien über die Gosse in den Gulli lief, woraus man schließen kann, dass der Verbrauch an bzw. die Nachfrage nach Schlempe geringer gewesen sein muss als die Produktion.
Ganz ähnlich gekleidet wie Herr Lainck-Vissing war der Brennereibesitzer
Rötering auf der Weststraße, der neben einem Verwalter etliche weitere
Angestellte unterhielt.

Ich erinnere mich, dass der Verwalter mit Namen Brand hieß, von einem ostpreussischen Gut kam und stets mit blank gewichsten Lederstiefeln umherschritt. Abb.149: Brennerei Rötering an der Weststraße Röterings besaßen einen großen Acker gegenüber meinem Elternhaus, dort, wo sich heute der Martiniring befindet. Wir nannten ihn Röterings Brink.Wenn auf diesem Feld gearbeitet wurde, erschien Herr Brand mit seinen blanken Stiefeln auf dem Fahrrad und wies die Knechte an, was sie tun sollten.

Bei Röterings arbeitete auch der Melker Meier, der als Flüchtling mit seiner Familie aus Westpreussen gekommen war. Er war Bauer gewesen, bescheiden und fleißig und schaffte es, in kurzer Zeit drei Häuser zu bauen.

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Abb.150: Anita und Heinrich Rötering
Abb.151: Haus Jönsthövel um 1950

An der Ecke Schulstraße/Nordstraße stand das wunderschöne Fachwerkhaus des Gastwirts und Brennereibesitzers Jönsthövel. Er war ein massiger Mann, der sich meist im Obergeschoss des Hauses aufhielt, während „Tante Trudis“ – sie war groß und schlank, unverheiratet und die Gute Seele des Hauses - im Gastraum die Stellung hielt.

Nach dem Krieg hatte er sich noch eine Kutsche und eine Wagenremise bauen lassen, die in einem großen Garten neben dem bis heute vorhandenen Schlachthaus von Laurenz Koch stand. Nach dem Tod von Theo Jönsthövel hatte ich die Möglichkeit, von den Erben diese Kutsche zu erstehen.

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Abb.152: Theodor und Antonie Jönsthövel
Abb.153: Jönsthövelsche Kutsche mit Pferd

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Das Haus wurde im Rahmen der Stadtsanierung abgebrochen – schade… Es war ein schönes Haus. Man ging durch eine Schwenktür in einem Vorraum über ein paar Stufen in die Gaststätte. Auf der linken Seite befand sich die Theke und „Tante Trudis“, die den Gast leicht aufgestützt auf den Tresen nach seinen Wünschen fragte. Da ich bei meinem Onkel in der Neustraße den Beruf des Frisörs erlernte, hatte ich immer wieder die Gelegenheit, das betriebliche Geschehen der Brennerei Everke, Ecke Kirchplatz/Neustraße/ Placken, mit zu verfolgen. Morgens warf der Sohn und Erbe, Eckart Everke, als erstes mit der Hand den Lanz-Bulldog an – ein kleines Ungetüm, das fürchterlichen Lärm machte und die Straße und Häuser in Vibrationen versetzte.

Everkes hatten aber auch am Placken eine Remise, in der eine Kutsche – eine Art Jagdwagen – stand. Bis in die 50er Jahre hinein besaß man ein Reitpferd, ein wirklicher Luxus in dieser Zeit. Man hatte Pferde für die Feldarbeit und auch leichtere Pferde, um am Sonntag zur Kirche zu fahren; ein ausgesprochenes Reitpferd war jedoch in Sendenhorst eine Seltenheit.

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