Opas Flachmann und „Osten-Silling“

Mein Großvater Heinrich Höne war durch seinen Maurerberuf in einem gewissen Maße dem Alkohol verpflichtet. Als alter Mann verlangte er jeden Abend vor dem Schlafengehen einen „Flachmann“ mit Korn, der ihn nach etwa einer halben Stunde so fröhlich stimmte.

Es war für mich als etwa 8-jährigem Jungen meine tägliche Aufgabe, für den Flachmann zu sorgen. Opa gab mir für den Einkauf die leere Flasche und 1,50 DM. Gegen Spätnachmittag fuhr ich dann mit dem Fahrrad zur Brennerei und Gaststätte Silling an der Oststraße. Josef Silling füllte die Flasche mit Korn auf und ich bezahlte mit 1,50 DM. Mein Opa erwartete mich nach der Rückkehr bereits in seinem Bett. Dort nahm er seinen Korn zu sich.

Auf dem Weg zu Silling kam ich täglich an der Bäckerei Drees vorbei, wo es auch Eis zu kaufen gab.

Abb.88: Großvater Höne mit Familie (links Bernd Höne)

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Ein Eis kostete 10 Pfennig, aber es gab auch schon ein halbes für 5 Pfennig. Nun war es gerade ein heißer Sommer und viele Kinder lutschten ein Eis. Leider verfügte ich nicht über die finanziellen Mittel für einen solchen Genuss. Ich bekam weder Taschengeld noch hatte ich ein Sparguthaben. Meine Eltern meinten, das müsse auch nicht sein. Aber war es nicht ungerecht, dass andere Kinder ein Eis lutschten, ich mir aber keines kaufen konnte?

An einem heißen Nachmittag konnte ich dem Wunsch nicht mehr widerstehen. So kaufte ich mir von Opas Geld für 5 Pfennig ein halbes Eis. Mit den restlichen 1.45 DM und dem Eis in der Hand ging ich nun zu Silling. „Heute nur für 1.45 DM“, sagte ich mit Herzklopfen. Silling sah mich und das Eis kurz an und füllte dann etwas weniger Korn ein. Zuhause füllte ich den Flachmann mit Wasser auf, bevor ich ihn Opa übergab, der seinen Korn mit Behagen genoss.

Der Sommer blieb weiterhin heiß und immer öfter ging ich meinem „Mundraub“ nach, war doch somit meinem Opa wie auch mir bestens gedient. Leider muss ich mir an dieser
Stelle den Vorwurf machen, dass ich mich nach einiger Zeit mit der für uns beide so glücklichen Lösung nicht mehr zufrieden geben konnte. Aber kauften nicht viele andere
Kinder ein Eis für 10 Pfennig, ich aber nur für 5? So verschob ich Opas und meinen Anteil um 5 Pfennig zu meinen Gunsten und kaufte mir für 10 Pfennig ein Eis. Die größer
werdende Lücke in der Flasche füllte ich wie gewohnt mit Wasser auf.

Abb.89: Blick von St. Martin auf die Oststraße bzw. die Häuser Silling und Drees auf der linken Seite

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Opa wartete schon in seinem Zimmer auf mich und seinen Flachmann. Er richtete sich bei meinem Nahen in seinem Bett auf und nahm den ersten Schluck. Bestimmt würde er sich jetzt so wie immer in die Kissen fallen lassen. Das würde für ihn der schönste Moment des Tages sein. Plötzlich hielt er inne, setzte die Flasche mit starrem Blick ab und schüttelte sich. Er schaute mich an und sagte: „ Du ollen Hund, Du häs mi Water in’n Schnaps doan!“

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