Der Wiederbeginn nach 1945
Gewöhnlich wurde den Besitzerfamilien in dieser Zeit in einem Raum oder in Nebengebäuden wie den stillgelegten Brennereien Wohnraum zugewiesen. Eine Aufstellung der Belegung des Röteringschen Wohnhauses macht exemplarisch deutlich,welche Belastungen manche Brennerfamilien (ähnlich u.a. Everke, Jönsthövel) in dieser Zeit ertragen mussten, ganz abgesehen von den Schäden an Häusern, Mobiliar und anderen Wertsachen und durch Verlust. Für den Betrieb der Brennereien wurden erst mit dem Gesetz über die Errichtung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, das rückwirkend zum 1.10.1950 in Kraft gesetzt wurde, klare Rahmenbedingungen geschaffen. Sie knüpften in Bezug auf die Abgabe des Rohbrandes an die DKV bzw. Monopolverwaltung gegen feste Übernahmepreise an der Vorkriegszeit an.
Im gleichen Jahr gründete man anstelle des früheren Zentralverbandes den Bundesverband deutscher Kornbrenner, der sich nun auf Bundesebene für die Belange der Abb.30: Fragebogen für die Erstattung von Mietausfällen für durch die Militärregierung besetzten Wohnraum im Haus Roetering in der Weststraße Kornbrennereien einsetzt. Laut Festschrift war es von Anfang an ein großes Anliegen, den volkswirtschaftlichen Nutzen der Kornbrennereien zu verdeutlichen, aber auch „bei der breiten Masse des arbeitenden Volkes“ den deutschen Kornbranntwein als „natürliches und notwendiges Genuss-mittel“ bekannt zu machen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in den folgenden Jahren große Werbeaktionen für den deutschen Korn durchgeführt wurden. Die Vorliebe für Süßes nach den langen Jahren der kriegsbedingten Enthaltsamkeit, führte in den 50er Jahren in den Sendenhorster Betrieben zur Herstellung einer Vielzahl unterschiedlichster Liköre auf Kornbasis, die offenbar reißenden Absatz fanden und die wirtschaftliche Erholung der Kornbren-nereien förderten.
Aber auch andere neue Entwicklungen ergaben sich. So führten z.B. freundschaftliche Kontakte zu jüdischen Geschäftsleuten, die während der nationalsozialistischen Zeit in die USA emigriert waren, dazu, dass die Brennerei Everke mit großem Erfolg hauseigenen Korn, Liköre und sogar ein Whisky-Imitat von Sendenhorst nach Übersee exportierte. Für die Sendenhorster Brennereien gilt für den Zeitraum 1950 bis zur Stadtsanierung in den 70er Jahren, dass sich die Anzahl der Betriebe im Vergleich zur Vorkriegszeit verringerte, dass diese aber durch Aufkauf von Brennrecht und durch Neu- und Nachveranlagungen gewaltig vergrößert wurden. So verfügte z.B. die heute noch aktive Brennerei Arens-Sommersell bis 1949 über ein Brennrecht von rund 259 Hektoliter. Infolge von Neuveranlagungen in den Jahren 1962 und 1970 und mehreren Zukäufen beträgt es heute 1501 Hektoliter. Noch eindrucksvoller stellt sich die Entwicklung der Sendenhorster Brennerei Horstmann dar, die heute als einzige noch selbst hauseigenen Korn produziert und vermarktet und deren Brennrecht sich von 260 Hektoliter vor dem Krieg auf nunmehr 2525 Hektoliter vergrößerte.
Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahre 1957 wurde eine neue Entwicklung eingeläutet. Bald darauf setzte man die Zölle zwischen den Mitgliedstaaten schrittweise herab. Als man diese Binnenzölle dann 1969 völlig abschaffte, geriet die gesamte deutsche Alkoholwirtschaft in eine schwierige Lage, die bis weit in die 70er Jahre andauern sollte.
Die Stadtsanierung
Nur zwei Jahre vor dem Wegfall der Binnenzölle, am 2. Juni 1967, hatte der Sendenhorster Rat den Beschluss zur Durchführung einer Stadtsanierung gefasst. Neben anderen Kriterien stellten die „für die Bewohner unzumutbaren Geruchsbelästigungen“ der noch immer acht im Zentrum der Stadt ansässigen Brennereien und Landwirtschaften mit ihren Großviehställen ein wichtiges Argument dar. Dazu gehörten die Brennereibetriebe Graute, Rötering, Arens-Sommersell, Hallermann (früher Panning), Jönsthövel, Everke, Lainck-Vissing und Silling (Oststraße). Mit Bewilligungsbescheid des Regierungspräsidenten in Münster wurde dem Antrag der Stadt auf Förderung eines ersten Sanierungsabschnittes mit dem Schwerpunkt der Verlagerung der störenden Betriebe entsprochen. Zwei weitere Sanierungsabschnitte
folgten. Alle Sendenhorster Brennereien im Stadtkern mit den zugehörigen Wirtschaftsgebäuden wurden abgerissen. Zahlreiche repräsentative und teilweise auch kulturhistorisch interessante Wohnhäuser ereilte dasselbe Schicksal. Zurück blieben städtebaulich wertvolle Lücken im historisch gewachsenen Umfeld. Sie wurden alsbald mit funktionalen Architekturen gefüllt, die nichts mehr mit der früheren Bebauung gemein hatten und das Bild der Stadt veränderten. Nicht nur Neubürgern fällt es heute schwer, sich das Leben und die Atmosphäre in dem ehemaligen Ackerbürger- und Brennereistädtchen vor der Stadtsanierung vorzustellen!
Auf den nächsten Seiten soll deshalb mit historischem und neuem Bildmaterial das „alte Sendenhorst“ vor der Sanierung dem der Gegenwart gegenüber gestellt werden. Neben den acht oben aufgelisteten Brennereibetrieben, die direkt im Stadtkern und damit im Sanierungsgebiet lagen, werden auch alte und neue Ansichten anderer ehemaliger Brennereigrundstücke gezeigt, die aufgrund ihrer Lage im Kirchspiel oder am Rande der Stadt zwar nicht direkt von der Sanierung betroffen waren, jedoch im Zug der allgemeinen Modernisierung ihr Aussehen inzwischen verändert haben.