Hohes Mittelalter

Herrschaften und staatliche Gewalten - Die Schröder von Ahlen und ihre Sendenhorster Freibauern - Sendenhorster Freistuhlgüter und Freischöffen

Herrschaften und staatliche Gewalten

Regionalgeschichte, erst recht Ortsgeschichte, hat mehrere Gesichter. Da gibt es die Herrschafts- und Verwaltungsgeschichte, die Geschichte der staatlichen Gewalt. Wir wissen nicht, wie weit sie von den Sendenhorster Bauern überhaupt bewußt erfaßt und erfahren wurde. Grafen, Bischöfe, Könige, das waren ferne Mächte, die man im bäuerlichen Jahresablauf nur selten zur Kenntnis nahm. Wenn man aber mit ihnen zu tun bekam, dann in der Regel unangenehm, störend, fordernd. Staatliche Gewalt brach meistens Abgaben und Leistungen verlangend, selten Hilfe und Schutz gewährend in den ruhig-gleichbleibenden Ablauf des bäuerlichen Alltags ein.

Die andere Geschichte, das ist der Alltag, die schwere Arbeit, die Hungersnöte und Naturkatastrophen, aber auch die bescheidenen Freuden in der Familie und in den Nachbarschaften. Alltagsgeschichte hat heute große Resonanz, stößt auf größeres Interesse als die traditionelle Staatsgeschichte, die Geschichte von Herrschern und Kriegen, von Verträgen und Vertragsbrüchen. Leider haben wir ein grundsätzliches Problem. Die Quellen für die Geschichte des Alltags fließen sehr dünn, schweigen meistens. Wenn wir die Geschichte unseres Ortes darstellen wollen, können wir nicht mit der Frage beginnen: Was wollen wir wissen? Sie müßte vielmehr lauten: Worüber können wir etwas erfahren? Es ist leider so, nur die Herrschaft, die staatliche oder grundherrliche Verwaltung schrieb und urkundete. Die Masse der Bevölkerung blieb stumm. Eine Ortsgeschichte kann sich wohl darum bemühen, zwischen den Zeilen möglichst viel Alltag herauszulesen. Oft wird es aber nicht gelingen, die Quellen geben es nicht her. Manchmal wird es möglich sein, aus dem, was über den bäuerlichen Alltag in anderen Gebieten Westfalens, in Deutschland, in Europa ermittelt wurde, Folgerungen für Sendenhorst zu ziehen, um so ein ungefähres Bild vom Alltagsleben zu zeichnen. Im übrigen müssen wir die wenigen vorhandenen zufälligen und lückenhaften Quellen auswerten, so gut es eben geht. Aber auch die Geschichte des heimischen Adels, der Gerichtsbarkeit, der Pfarrei – um nur ein paar durch Quellen abgesicherte Themen zu nennen – trägt ein wenig dazu bei, einen Einblick in die Vergangenheit unseres Ortes und seiner Bewohner zu bekommen.

Sendenhorst lag im altsächsischen Dreingau. Die Gaue waren Siedlungsinseln, von den Nachbargauen durch unbewohnte Wald-, Heide- oder Sumpfgebiete getrennt. Der »pagus Dragini« (Dreingau) wird in der fränkischen Kriegsberichterstattung für das Jahr 784 erstmalig erwähnt. In der Verwaltungsorganisation der Franken hatten die Gaue keinen Platz mehr. Die neuen Herren überzogen das eroberte Sachsenland mit Grafschaften, Verwaltungs- und Gerichtsbezirken, mit einem beamteten Grafen an der Spitze. Im 10./11. Jahrhundert gelang es der mächtigen Familie von Werl, ein zusammenhängendes Territorium von Grafschaften mit weitrechenden Rechten und Vollmachten in ihrer Hand zu vereinigen. Das Herrschaftsgebiet der Grafen von Werl reichte von der Nordsee bis ins Sauerland 1).

Das westfälische Kernland, der Dreingau nördlich der Lippe und der Brukterergau zwischen Ruhr und Lippe, gehörte um 1050 einem Grafen aus dem Hause Werl, der sich nach seiner Burg Hövel (Stadt Hamm) Bernhard von Hövel nannte. Auf verschlungenen Wegen, über Erbtöchter, Nebenlinien und Teilungen, kam die Grafschaft Hövel mit den Gerichtsbezirken (Komitaten) Warendorf, Beckum, Ahlen, Rinkerode und Sendenhorst an den Grafen Eberhard von Altena. 1175 verteilte er seinen Besitz im Münsterland an seine Söhne Arnold und Friedrich. Graf Arnold besaß die gräfliche Gewalt im Freigericht Ahlen und in dem von Ahlen abgetrennten Gerichtsbezirk Sendenhorst. Die Verwaltung dieser beiden Freigrafschaften wurde der angesehenen Ministerialenfamilie von Ahlen übertragen 2).

Für die Sendenhorster Bauern, ganz gleich ob hörig oder persönlich frei, verkörperten die Herren von Ahlen zunächst Staatsgewalt und richterliche Autorität. Sie verfügten über die Gerichtsstühle in und um Ahlen, vor Sendenhorst. Im Namen des Königs ließen sie Recht sprechen und Gütergeschäfte beglaubigen. Wichtig war, daß die von Ahlen die Verfügungsgewalt über die zum Freistuhl zugeordneten Höfe hatten. Die sogenannten Stuhlfreien waren ja nicht wirklich frei im modernen Sinne, sondern standen unter dem Schutz ihres Gerichtsherrn. Der konnte über die Freigüter ziemlich willkürlich verfügen, konnte sie, ohne den Bewirtschafter zu fragen, verkaufen oder vertauschen. Einzige Einschränkung: der freie Bewirtschafter eines Hofes durfte nicht mit verkauft werden. Seine Rechte an dem Hof mußten entschädigt werden.

Die Schröder von Ahlen und ihre Sendenhorster Freibauern

Erst um das Jahr 1250 sind Angehörige der Familie von Ahlen genannt Schröder in der schriftlichen Überlieferung nachzuweisen. Sie müssen zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange, bedeutende Vergangenheit hinter sich haben. Denn bereits bei ihrem ersten Auftreten in den Urkunden befinden sie sich in angesehener, einflußreicher Stellung. Die Freibauern in den Freigrafschaften Ahlen und Sendenhorst, die übrigen kleinen Adligen, der Bischof von Münster, sie alle hatten aus unterschiedlichen Gründen mit dieser Macht im südöstlichen Winkel des Bistums Münster zu rechnen.
Eine zusammenhängende geschichtliche Darstellung derer von Ahlen genannt Schröder gibt es bislang nicht. Weil die Familie für den Sendenhorster Raum eine wichtige Rolle spielte, ist es angebracht, sich etwas näher mit ihr zu beschäftigen. Um es gleich vorweg zu sagen: Geschichte zu schreiben, nur mit Hilfe von mittelalterlichen Besitzwechselurkunden (das sind in der Regel die einzig verfügbaren Quellen), bleibt unbefriedigend. Zu vieles ist Zufall, zu viele Fragen bleiben offen. Andererseits, diese meist lateinischen Urkunden sind das einzige, was wir aus mittelalterlicher Zeit haben. Und noch eine weitere Einseitigkeit: Wieder ist es fast ausschließlich der Adel, der sich in diesen Urkunden zu Wort meldet. Er konnte Schulden mache, verkaufen, tauschen, er hatte Besitz. Der Nichtadlige, erst recht wenn er mittellos war, hatte keine Geschichte. Wenn wir mit dieser Einschränkung die Urkunden untersuchen, stellen wir fest: es hat zwei Familien mit dem Namen »von Ahlen« gegeben, die eine mit dem Leitnamen (Lieblingsvorname) Sveder, die andere mit dem Beinamen Schröder. Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Familien scheinen nicht bestanden zu haben, jedenfalls lassen sich weder gemeinsame Vornamen, Wappen, Rechte oder Besitzungen nachweisen.

von Ahlen mit dem Leitnamen Sveder

1139 überträgt Bischof Werner von Münster die Kirchen von Ahlen und Werne an das Kloster Kappenberg. Unter der Dienstmannschaft, die diese Schenkung bezeugt, sind Sveder von Alen und Hermann von Sendenhorst 3). Sveder (I.) war ein zuverlässiger Gefolgsmann der münsterschen Bischöfe. Im hohen Alter ging er als Laienbruder ins Kloster Liesborn 4). Sein Sohn ist mehrfach zwischen 1176 und 1199 im Gefolge münsterscher Bischöfe bezeugt 5). Von dessen drei Söhnen Lutbert, Everhard und Albert war Lutbert 1237 Gograf (Richter) von Ahlen 6).. Lutberts Sohn Rudolf trug den Beinamen »Longus« (der Lange), ein Name, den ein Zweig der Familie von Ahlen im 14. Jahrhundert wiederholt benutzte 7).. Sveder von Alen erwarb das Bürgerrecht der Stadt Münster und war dort zwischen 1303 und 1306 Bürgermeister 8). Die weiteren Personen mit dem Namen von Ahlen sind nicht eindeutig einer bestimmten Familie zuzuordnen. Johann von Ahlen ist zuletzt 1425 als Verkäufer einer Rente bezeugt 9).

von Ahlen genannt Schröder

Um 1250 erwähnen die Quellen eine zweite Familie von Ahlen. Ritter Heinrich von Ahlen, Amtmann des Stifts Meschede, Pfandinhaber Vredener Güter in Borbein und Lehnsinhaber der Limburger Freigrafschaft Ahlen-Sendenhorst, trägt als erster den merkwürdigen Beinamen Schröder 10). Das niederdeutsche Wort heißt Schneider, aber auch, zutreffender und für die Person eines kampferprobten Ritters naheliegender, »Beißer, Der, der alles in kleine Stücke zerschlägt«.

Bei ihrem Eintritt in die geschriebene Geschichte hatten die Schröder von Ahlen den Höhepunkt ihrer Macht wohl schon überschritten. Zusammen mit anderen mächtigen Familien des Landes kämpften sie um ihre Unabhängigkeit von dem Bischof von Münster, der seine Ansprüche als Landesherr flächendeckend durchsetzen wollte und schließlich sein Ziel auch erreichte. Die Auseinandersetzungen werden auf beiden Seiten gewalttätig und mit fanatischer Zerstörungswut geführt. Schließlich behauptet der Bischof das Feld. Seine Gegner müssen sich geschlagen geben, die Ritter von Münster, von Bevern, von Langen, von Lüdinghausen und natürlich die Herren von Ahlen. Einen bedeutenden Sieg über die Adelsopposition konnte Bischof Everhard 1276 verbuchen. Er zog gegen die gut befestigte, weitläufige Burg Langen an der Bever, im Kirchspiel Westbevern nördlich von Telgte, und bezwang sie. Die Befestigungen wurden niedergerissen, die Gebäude und die dabei liegende Mühle zerstört. In der Landesburg Wolbeck müssen die Unterlegenen sich dem Diktat des siegreichen Bischofs unterwerfen. Raub, Brandstiftung und Landfriedensbruch wirft der Bischof dem Burgherrn Hermann von Langen und seinen Helfern vor. Mehr als 30 Ritter und Knappen des Bistums verpflichten sich als Bürgen für die Unterwerfung des aufsässigen Adels. Die Grafen von der Mark, von Bentheim und Tecklenburg und der Bischof von Osnabrück wohnen dem Ereignis bei. Zunächst muß Ritter Hermann von Langen sich verpflichten, Burg und Mühle nicht wieder aufzubauen. Dazu muß er 200 Mark Buße zahlen, ein hoher Betrag, für den man zu jener Zeit einen Hofesverband mit mehreren Unterhöfen kaufen konnte 11).

An diesem denkwürdigen 21. August 1276 steht auch Ritter Heinrich Schröder von Ahlen in Wolbeck vor seinem geistlichen Oberhirten. Bischof, Grafen und Dienstmannen sprechen ihn schuldig, dem Stift Münster Schaden und Unrecht zugefügt zu haben. Heinrich gibt sich bezwungen, schwört Urfehde und gelobt, in Zukunft auf jede Gewaltanwendung zu verzichten. Zu dem Unterwerfungsakt ist seine gesamte Familie in Wolbeck erschienen, seine Frau Elisabeth, Sohn Hermann und Schwiegertochter Reglandis, seine Töchter Gostia und Mechthild sowie sein Enkel Gerhard. Zur Sühne müssen die Schröder ihre Gerichtsbarkeit, die Gogerichte, im südlichen Teil des heutigen Kreises Warendorf in folgenden Kirchspielen abtreten: Ahlen, Beckum, Vellern, Ostenfelde, Westkirchen, Ennigerloh, Vorhelm, Walstedde, Heessen, Dolberg, Üntrop (= Lütke Üntrop nördlich der Lippe), Lippborg und halb Sünninghausen 12).

Für Bischof Everhard bedeutete der Erwerb der Gogerichtsbarkeit in knapp einem Dutzend Pfarreien ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur unumschränkten Landesherrschaft. Gerade in dieser Zeit waren die Gogerichte im Begriff, sich von Niedergerichten mit begrenzter Befugnis zu den eigentlichen Hauptgerichten mit Verfügbarkeit über Leib und Leben zu entwickeln. In Zukunft richteten auch im Südosten des Bistums nicht mehr eigenständige Adelige, sondern vom Bischof bestellte, von ihm abhängige Richter. Der Familie Schröder blieb die Freigerichtsbarkeit, als Lehen der Grafen von Limburg der Gewalt des Bischofs entzogen. An den Freistühlen vor den Toren der Stadt Ahlen, vor der Stadt Sendenhorst, in der Bauerschaft Östrich, richteten und urkundeten Freigrafen im Namen derer von Ahlen genannt Schröder. Besonders wichtige Geschäfte ließen die Gerichtsherren von sämtlichen zur Schröderschen Freigrafschaft gehörigen Freibauern bezeugen.

1269 führte Ritter Heinrich von Ahlen ein schwieriges Gütergeschäft durch, das durch fünf Beurkundungen abgesichert wurde, und die Bestätigung durch alle Freibauern notwendig machte. Ritter Heinrich verkaufte zwei Höfe in Schmehausen (Smidehusen), einen in Lippborg und einen Kotten bei Lippborg sowie die Fischerei auf der Lippe an das Kloster Welver. Die Häuser gehörten zu seiner Freigrafschaft. Deshalb mußte der freie Bewirtschafter ein Ersatzgut erhalten und Graf Dietrich von Limburg, Eigentümer der Freigrafschaft, durch ein anderes Gut, das Haus Berichem, entschädigt werden. Unter den Zeugen befinden sich auch drei Freibauern aus Sendenhorst: Johannes de Rinchove (entweder Greive oder Suermann in Rinkhöven), Johannes Bruninc (Bewirtschafter des späteren Hofes Niesmann, Bracht) und Ludolfus de Rameshuvele (Heimann, Bracht) 13).
Ritter Heinrichs Sohn Hermann war wie bereits sein Vater gezwungen, Höfe oder Grundstücke zu veräußern. Großzügig übersah er bei den Verkäufen, daß es sich um Freistuhlgut handelte, das eigentlich nur mit Zustimmung der Grafen von Limburg verkauft werden durfte 14). 1318 verkauft Knappe Heinrich genannt Schröder mit Zustimmung sämtlicher erbberechtigten Verwandten dem Kloster Kentrup vor Hamm die Kusteshove in der Ahlener Bauerschaft Östrich. Zur feierlichen Verzichtsleistung vor dem Freistuhl hat Heinrich alle Freien seiner Freigrafschaft aufgeboten. Überrascht lesen wir, daß allein aus Sendenhorst zwölf Freibauern erschienen sind. Im Jahrhundert der Stadtgründung gab es also in der Stadtfeldmark und im Kirchspiel noch überdurchschnittlich viele von freien Leuten bewirtschaftete Höfe 15).

Sendenhorster Freistuhlgüter und Freischöffen 1269-1340

Jahr

Freischöffe

Bauerschaft

Verkauf

späterer Besitzer

Name des Hofes

1269
1269
1312
1312
1312
1318
1318
1318
1318
1318
1340

Johann v. Rynchoven
Johann Bruninc
Levold v. Kulsinctorpe
Albert Levekinc
Herman de Hertoghe
Herman v. Righove
Reynken v. Meldinchoven
Johan v. Egelbertyng
Herman Hobeltrey
Johann Hoykeman
Herman v. Schegtorpe

Rinkhöven
Bracht
Brock
Stadt
Bracht
Rinkhöven
Hardt
Hardt
Bracht
Bracht
Rinkhöven

vor 1340


1367
?
vor 1340
1367

Domkapitel
Bisch. Lehen
Bisch. Lehen
Fraterherren
mstr. Bürger
Domkapitel
Domkapitel
Bischof
bleibt Freigut
Bisch. Lehen
Fraterherren

Greive
Niesmann
Hove Kulsinctorp
Flur Leringbrock
Hoppe
Suermann
Mellinghoff
Watermann
Heimann
Rotkötter
wüst, bei Brüser

Nach oben

Ahnenforschung
Blätterwald
Fakten
Geschichte(n)
Grundwissen
H. Petzmeyer
Anfänge
Bis Stadtgründung
Hexenwahn
Branntweinstadt
Kornbrenner
Quellen