Nr. 96 - Joseph Spithöver - Bilder aus seinem Leben

geschrieben aus Anlaß der Einweihung seiner Stiftung zu Sendenhorst vor 40 Jahren, am 16. September 1889

Priesterkollegium am Campo Santo in Rom

Papst Pius IX. hatte am 8. Dezember 1869 das allgemeine Konzil eröffnet. Von den 1044 Oberhirten der Kirche waren über 700 erschienen. Unter den deutschen Bischöfen wurde vornehmlich die horchragende Gestalt des Bischofs Emmanuel von Ketteler von Mainz angestellt. Bei dem längeren Aufenthalt besuchten die Bischöfe auch wohl ihre Landsleute in der Stadt. Wiederholt war Bischof Ketteler bei der deutschen Kolonie zu Gast.

Eines Tages folge er nun einer Einladung seines Landsmannes Joseph Spithöver, den er lange vorher kennen und schätzen gelernt hatte. In seiner Villa traf er einen Großindustriellen aus Frankreich an, den berühmten Herrn Name aus Tours, dem Sterbeorte des hl. Martinus. Dieser Mann beschäftigte an die 3000 Arbeiter in seinen großen Papierfabriken und Buchdruck- und Buchbindereien. Das Zusammentreffen und die Unterredung dieser drei Männer dienten einer Beratung, um Mittel und Wege zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der arbeitenden Volksmasse zu finden. Bischof Ketteler trug sich mit dem Gedanken, gesunde Arbeiterwohnungen in der Industriestadt Offenbach errichten zu lassen. In Spithöver fand Ketteler nun einen Arbeitgeber, der seine große Arbeiterfamilie ganz im Geiste eines christlichen Familienvaters behandelte, der den Arbeitern Wohnungen bauen ließ und in jeder Weise für das Wohl seiner Leute sorgte. "Hätte ich doch", so schrieb Ketteler an dem Domkapitular und seinen späteren Nachfolger auf dem Mainzer Bischofsstuhle Dr. Affner, "einen solchen Mann in Offenbach! Ich überzeuge mich immer mehr davon, daß dies eine der großen Aufgaben der Zukunft wird, so wenig es bisher verstanden wird." Wie lauschte Spithöver den Worten seines Kollegen und Freundes, wie den Worten des Bischofs über die Pläne zur Lösung des sozialen Problems. Nach dieser Zusammenkunft reifte bei Spithöver der Plan, sein großes Vermögen zum Wohle seiner Mitmenschen zu verwenden.
Die Vaterstadt hatte damals Spithöver fast vergessen. Nur wenige der Altersgenossen erinnerten sich noch seiner. Nahe Verwandte lebten nicht, und sein Elternhaus an der Weststraße war verkauft und abgebrochen.

Es war eine traurige Zeit, als hier Joseph Spithöver am 11. Oktober 1813 geborgen wurde. Der Vater Theodor Hermann war Zimmermann und hatte einen kleinen Holzhandel. Die Mutter, eine geborene Katharina Hagedorn, hatte ihm vorher 5 Kinder geschenkt. Joseph, das jüngste Kind, war kaum vier Monate alt, als der Vater am 13. Februar 1814 an der Schwindsucht starb. Sendenhorst war damals fast ganz verarmt. Am 29. April 1806 war die Stadt zu zwei Drittel abgebrannt. Infolge der Kriege kamen noch große Lasten hinzu. Der Mutter wurde es nach dem Tod des Ernährers recht schwer, die Kinder groß zu ziehen. Der damalige Bürgermeister und Gerichtsaktuar Langen, ein rechtschaffener und sozial denkender Mensch, dem Sendenhorst seinen Wiederaufbau und sonst noch viel zu verdanken hat, nahm sich auch der Familie Spithöver an. Den jüngsten Sohn Joseph nahm er bei sich in Pflege und wollte aus ihm einen tüchtigen Menschen machen. Bürgermeister Langen wohnte in dem jetzigen Borgmannschen Hause, worin sich die Post befindet. Der Junge, sehr geweckt, artig und fleissig, ging seinem Pflegevater sehr zur Hand und verrichtete alle vorkommenden Hausarbeiten. Bei späteren Besuchen in der Heimat suchte er gern die Stätte der Jugend wieder auf und zeigte auf die Stelle unter der Treppe hin, wo er jeden Morgen gesessen und des Bürgermeisters Schuhe mit den silbernen Spangen geputzt habe. Schon in der Schule konnte ihn der Bürgermeister zu Schreibarbeiten heranziehen. Als Langen nach Ahlen versetzt wurde, blieb Spithöver hier und wurde auf dem Bürgermeisteramte beschäftigt. Doch mochte ihm dieser Beruf wohl nicht zusagen, da er bald das Buchbinderhandwerk erlernte. Als Geselle zog er auf die Walz und arbeitete längere Zeit in Süddeutschland. Die Sehnsucht nach dem Süden, nach dem ewigen Rom, hatte auch ihn ergriffen, und so kam er mit 28 Jahren, im Jahre 1841, von München dort an. Einen Frank hatte er in der Tasche. Aber das Herz war voll Mut und Gottvertrauen. In seinem Fache gut ausgebildet, fand er bald Beschäftigung und Verdienst. Die deutschen Landsleute nahmen den jungen Westfalen gern in ihren Kreis auf und verschafften ihm Arbeit und Verdienst. Vor allem setzte Pater Augustin Theiner auf ihn grosse Hoffnungen und förderte sein Unternehmen.

Aus der ersten Zeit des Aufenthaltes in Rom wird über eine edle Liebestat Spithövers berichtet. Um dieselbe Zeit war auch der bekannte Bildhauer Wilhelm Achtermann aus Münster nach Rom gekommen. Dem ging es dort anfangs nicht sehr gut. Seine Kunst fand zwar viele Freunde und Bewunderer, aber wenig Käufer. So hatte Achtermann oft Nahrungssorgen und Not. Er hatte sogar Schulden machen müssen und war dieser halb angeklagt. Nach römischem Recht musste er, wenn er die Schulden von 100 Scudi nicht bezahlte, ins Gefängnis wandern. Geschwächt von Hunger und Kummer bemühte er sich vergebens um das Geld. Ganz traurig und ratlos sass er in seinem Atelier, an alle menschlichen Hilfe verzweifelnd. Da wendete er sich nochmals in vertrauensvollem Gebete zur Gottes Mutter, deren Bild er mit soviel Liebe und Andacht gemalt hatte. Während des Gebetes klopft es an sein Atelier. Er öffnete. Es treten zwei junge Leute herein, die ihrem Äußern nach biedere Handwerksburschen zu sein schienen. Freundlich begrüssen sie ihren Landsmann. Sie seien schon einige Zeit in Rom, und nachdem sie von ihm soviel Rühmliches gehört hätten, führe sie Neugierde und Interesse zu ihm. Da verklärt sich ihr Gesicht, sie drücken ihm herzlich die Hand und beglückwünschen in voller Freude als heimatlichen Künstler. Dem armen Achtermann aber traten die Tränen in die Augen. "Ihr preiset mich glücklich als Künstler", seufzte er, "und jetzt bin ich der ärmste der Armen in Rom. Wenn ich nicht in wenigen Tagen 100 Scudi schaffe, bin ich Gefangener und für immer ein unglücklicher Mensch. Alle meine Versuche waren vergebens, meine ganze Hoffnung ist geschwunden. Wenn nicht außerordentliche Hilfe von oben kommt, gehe ich bei aller meiner Kunst zugrunde." Da erfasste die beiden das Mitleid. Sie warfen einander einen Blick zu und sagten in ihrer Mundart: "Giff us de Hand! Wie laot't di nich in'n Stiek und schafft die Geld. Wie Laot't die nich smachten un in'n Pott setten. Dat giff't nich." Während der erstaunte Künstler noch sehr zweifelte an der Zuverlässigkeit und Hilfe seiner Landsleute waren sie schon zur Tür hinaus. Bald aber kamen die beiden Freunde in der Not zurück und zählten dem überraschten Achtermann die gewünschte Summe auf den Tisch, jeder die Hälfte. Tränen rollten dem wehmütigen Achtermann über die Wangen. Ein stummer Händedruck sagte alles, was der Mund nicht aussprechen konnte. Nun verlebten die drei frohe Stunden und erzählten von der fernen Heimat. Einer dieser Wohltäter war unser Landmann Spithöver. Gott hat die Liebestat reichlich gelohnt. Zeitlebens ist Achtermann seinem Landmann Spithöver für diese Hilfe in der Not dankbar gewesen. Er ernannte den Spithöver auch zu seinem Testamentsvollstrecker. Als Achtermann am 26. Mai 1884 in Rom starb, und sein Testament geöffnet wurde, hat er auch in dankbarer Liebe seines heimatlichen Freundes bei Ausführung des letzten Willens gedacht. Unter Nr. 8 hieß es in dem Testament: Dem Herrn Spithöver vermache ich ein silbernes Besteck als Zeichen der Dankbarkeit. Gewogenheit und Freundschaft, die er mir immer bezeugt hat. Zugleich vermache ich ihm das große Kruzifix in Gipe, von dem ich verschiedene Kopien in Marmor gemacht habe, um es in der Kapelle seiner Villa zu verwenden. Auch vermache ich ihm alle photographischen Negative, die mein unbestrittenes Eigentum sind und in meiner Wohnung in zwei Kistchen aufbewahrt werden. Der Schwester des genannten Herrn Spithöver, wohnhaft in Rom, vermache ich eine kleine Statue mit dem Jesuskinde."

Der strebsame Spithöver konnte sich schon bald selbständig machen, und er gründete 1845 in Rom die erste deutsche Buchhandlung, die noch heute besteht. Bis dahin hatte er "Via Purifikatione 6" gewohnt und als Buchbinder, von 1845 an "Piazza die Spangna 55-56" als Buchhändler, seit 1865 "Spiazza Spagna 54-85". Als einfacher Handwerker besass er keine höhere Bildung, verstand es aber, mit seinem Berufe gegebenen Bildungsmöglichkeiten auszunutzen. Bald wurde er in der deutschen Kolonie eine geachtete Persönlichkeit. Sein Geschäft wuchs ständig und brachte ihm ansehnlichen Verdienst. Die bescheidene bürgerliche Lebensweise trug dazu bei, mit der Zeit Ersparnisse zu machen. Später erzählte Spithöver einem heimischen Freunde, daß ihm doch die Erübrigung der ersten Zehntausend viel Mühe und Zeit gekostet habe.

Ein reiches Arbeitsfeld, für seine Heimat und Landsleute tätig zu sein, fand Spithöver in der Erzbruderschaft vom Campo Santo. In der führenden Stellung als Camerlengo hatte er die Aufmerksamkeit und auch den Haß der Umsturzparteien auf sich genommen. Spithöver galt ihnen als Reaktionär. Im Mai 1850 ging an seiner Buchhandlung eine Höllenmaschine los und zertrümmerte den Laden. Zwei Bombenanschläge in demselben Jahre und ein weiterer Anschlag im Jahre 1864 gaben dem deutschen Buchhändler unzweideutig zu erkennen, daß er dem Revolutionskomitee als ein Werkzeug der Reaktion galt.

Um die Mitte der 50ziger Jahre begann in der Heimat der Kirchenball. Da besorgte Spithöver gerne für die Altäre Reliquien und half auch durch Geldmittel den Bau zu fördern. Wo immer es galt, für die Interessen der Heimat tätig zu sein, machte er seinen ganzen Einfluß geltend. Über manche Einzelheiten habe ich in dem vorhin erwähnten Aufsatze berichtet.

Bei der Lebensbeschreibung wird sich die wichtigste Frage aufwerfen, wie Spithöver zu seinem großen Reichtume von vielen Millionen kommen konnte. Zwar brachte ihm sein Geschäft bei der umsichtigen Leitung guten Gewinn. Auch sein Handel mit Papieren vermehrte sein Vermögen. Diese Erträgnisse bildeten aber nur einen Bruchteil des Reichtums, den er später sein eigen nennen konnte. Bei seinem Weitblick sah er das Patrimonium Petri, den Kirchenstaat wanken, so sehr er auch die Erhaltung wünschte. Längst hatte er vorausgesehen, daß die weltliche Macht des Papstes der Übermacht der Feinde weichen musste. Nach der Niederlage der Päpstlichen Truppen würde Rom Haupt- und Residenzstadt. Dann würde die Stadt zu eng werden. Sie müsste erweitert, und auch für einen neuen Bahnhof müsste Platz geschaffen werden. Hierfür kam nur Gelände in Frage, dem die Römer mit dem überlieferten Aberglauben mißtrauisch gegenüberstanden. Das Gelände hieß im Volksmunde die "Ort Sallustiani" (benannt nach dem römischen Geschichtsschreiber Sallust zur Zeit Cäsars) und gehörte dem Fürsten Barberini. Für billiges Geld erwarb er die Ländereien. Hier baute er auch die schöne Villa mit einer Hauskapelle. Nach der Besitznahme des Kirchenstaates stieg sofort der Wert der Grundstücke in einem Maße, wie es auch von Spithöver nicht geahnt war, und brachte diesem beim Verkauf einen riesigen Gewinn. So führte der Fall des Kirchenstaates nach Gottes Fügung den Nutzen in die rechte Hand, die ihn später austeilen konnte durch Werke und Barmherzigkeit.

Für die deutschen in Rom blieb Spithövers Haus immer der Mittelpunkt. An ihn wendeten sich die Bewohner aus der Heimat mit ihren Anliegen. Er vermittelte Audienzen beim Hl. Vater, dessen persönlicher Freund er war, versorgte deutsche Handwerksgesellen mit Arbeit und Verdienst. Wie ein Mäzen begünstigte er die Studierenden und Künstler aus Deutschland, die Rom als Ausbildungsstätte aufgesucht hatten. An den Vierhochzeiten lud er die Landsleute aus der engeren Heimat zu Gast, die dann in seinem Kreise recht angenehme Stunden verlebten, unter anderem: den Diener des Kardinals Melchers, Schlüter und den Schmiedemeister Heinrich Stapel von hier, jetzt Glandorf, die um 1890 in Rom weilten. Nach seinem Tode musste dieses gastliche Haus leider einer Straßenanlage weichen.

Von Deutschland war die Feier des Goldenen Priesterjubiläums von Papst Pius IX. angeregt worden. Am 11. April 1869 fand die glänzende Feier statt und brachte einen großen Pilgerzug aus Deutschland nach Rom. Als Geschenk führten die Deutschen ein kunstvolles Kruzifix bei sich, gestiftet vom Kölner Domkapitel. Es war aus Holz von den Krahnen geschnitzt, die beim Kölner Dombau benutzt waren, mit einer Widmung für Pio nono und mit dem päpstlichen Wappen versehen. Der Papst ließ dieses liebevolle Geschenk in seinem Schlafgemache aufstellen und betete täglich vor ihm für die Anliegen der Christenheit. Nach dem Tode des Papstes wurde Spithöver dieses kostbare Geschenk als Dank und Anerkennung für seine Verdienste zuerkannt. Es verblieb nun in seiner Hauskapelle, bis er es seiner Heimatgemeinde zum Geschenk machen konnte, nachdem er in die Kreuzesbalken eine Partikel vom Kreuze Christi und Reliquien vom hl. Ludgerus und vom hl. Augustinus hatte anbringen lassen.
Nach der Besitzergreifung Roms durch die Italiener setzte eine starke Vermehrung der Bevölkerung ein. Ihr folgte viel Not und Armut. Die christliche Karitas wurde vor neue große Aufgaben gestellt. Eine Reihe Anstalten für Kranke und Arme, für Krüppel und Waisen mussten gebaut und unterhalten werden. Da hatte Spithöver immer eine offene Hand. Für die Kreuzschwestern aus dem Mutterhaus Ingenbohl in der Schweiz ließ er ein Heim bauen, um ihnen die Möglichkeit zu geben zur Pflege armer deutscher Waisenkinder und zur Beherbergung deutscher Pilger. Diese Stiftung genügte bis vor einigen Jahren den Anforderungen, bis sie dann bedeutend vergrössert werden musste. Ein Bild von Spithöver schmückt heute noch ein Zimmer dieser Anstalt und hält sein Andenken in Ehren.

Der schönste Zug im Charakterbild Spithövers ist wohl, daß sein eigenes Auge sah, wo er helfen konnte. Er ergriff selbst die Initiative zu den Werken der christlichen Nächstenliebe, zu denen die meisten Menschen erst durch Anregung und Überredung mühsam gebracht werden müssen. Seine besondere Fürsorge wendete er der deutschen Nationalstiftung am Campo Santo zu. Sie erlebte durch ihn ihre Wiedergeburt. Schritt für Schritt wurde vom Bruderschaftsrate des Campo Santo unter Vortritt Spithövers die wirtschaftliche Grundlage für die Kaplanstellen geschaffen. Vom Jahre 1850 bis 1863 war er Camerlengo der Erzbruderschaft. Sein Bild mit der Tracht dieser Würde befindet sich im Bibliotheksraum der Stiftung. Der kernige Westfale mit dem eisernen Willen und dem weiten Blick fand jedoch nicht immer Verständnis für seine Pläne. Es setzte eine Opposition gegen ihn ein, weil er ein fast absolutes Regiment im Campo Santo führte, was sich mit den Statuten schwer vereinbaren ließ. Da e sich nicht beugen wollte, lehnte er im Jahre 1863 die Wiederwahl zum Camerlengo ab und schied im folgenden Jahre ganz aus der Leitung aus. Er hat aber bis zu seinem Lebensende vor allem als treuer Berater und Helfer von dem Rektor Anton de Waal der altehrwürdigen Stiftung Beweise unverminderter Anhänglichkeit gegeben. Kein geringerer als der jetzt 93jährige Dekan des Kardinalkollegiums und Protektor vom Campo Santo hat bei der Festfeier des Goldenen Jubiläums des Priesterkollegiums am Campo Santo am 21. April 1927 in seiner Festrede über Spithöver folgende Ausführungen gemacht: "Bereits während meiner ersten theologischen Studien lernte ich die verehrungswürdige Gestalt Spithövers kennen und bewundern, und später, bevor ich mich von Rom entfernte, um 1863 in den päpstlichen diplomatischen Dienst einzutreten, konnte ich dem Werke meinen Beifall geben, das jener ausgezeichnete deutsche Katholik, ein Muster an Ehrenhaftigkeit und Glaubenstreue, in der Erzbruderschaft der Schmerzhaften Gottesmutter für seine Landsleute unterstützt von einigen derselben ausübte."

Im Jahre 1878 starb Papst Pius IX. Spithöver hatte dem großen Dulderpapst im Leben sehr nahe gestanden. Der Tod ging ihm daher sehr zu Herzen. Im folgenden Jahre, am 3. Dezember 1879, starb auch seine um drei Jahre ältere Schwester Klara Spithöver, die ihm, da er Junggeselle war, immer treu und brav den Haushalt geführt hatte. Sie wurde auf dem Campo Santo begraben. In seinem Freundeskreise hatte der Tod auch schon viele Lücken gerissen. So erweckte das herannahende Alter Gedanken an den Tod und an die Heimat. Zeitweilig erwog er, sich in der Heimat begraben zu lassen. Hier wollte er sich eine Grabeskapelle bauen lassen, und Schwerstern sollten über seiner Gruft für sein Seelenheil sorgen und beten. Dieses Vorhaben wurde noch verstärkt, als der Bestand des deutschen Friedhofe eine Zeitlang gefährdet war. Der Gedanke, seiner Heimat Gutes zu tun, verließ ihn nicht. Durch gelegentliche Besuche von Landsleuten und durch Schriftwechsel mit der Heimat wurde er gefördert und nahm allmählich feste Formen an.

In Sendenhorst fehlte notwendig ein Krankenhaus und eine Bleibe für alte und gebrechliche Leute. Das Armenhaus war 1876 abgebrochen, und für die Kranken hatte man nur eine recht unzureichende Familienpflege. Die Gemeinde Sendenhorst war aus sich nicht in der Lage, ein Krankenhaus zu bauen. Ihre Opferfreude war sieben Jahrzehnte durch den Bau und die Einrichtung der Kirche in Anspruch genommen. Zwar wusste Pastor Reinermann von dem Reichtum Spithövers. Er hatte ihn bei Gelegenheit seiner Romreise im Jahre 1870 besucht und zugefühlt, ob er "sich nicht etwas merken ließ." Das muß wohl nicht geschehen sein. Der Pfarrer ging vielmehr daran, einen Fonds für ein Krankenhaus zu sammeln und brachte diesen auf 26.800,-- Mark. Doch hemmten sein Tod und der Kulturkampf mit den verworrenen Verhältnissen die Ausführung des Planes.

Da kam um die Mitte der achtziger Jahre die unerwartete und frohe Botschaft aus Rom, daß Spithöver seiner Heimat ein Krankenhaus schenken wolle. Die Nachricht erschien erst kaum glaublich. Als aber der Pfarrer Beckmann und der Kaplan Schlathölter das Gerücht von der Kanzel bestätigten, war die Freude gross. Schon bald wurde mit den Arbeiten begonnen. Das Baugrundstück wurde von dem Pastorat angekauft, und der Architekt Wilhelm Rinklake mit der Ausarbeitung und Bauleitung beauftragt. Im März 1887 wurde der Grundstein gelegt. Hunderte von fleißigen Händen ragten sich, um das Werk bald zu vollenden. Doch ging nicht alles glatt vonstatten. Die Regierung machte allerhand Schwierigkeiten und erließ Vorschriften, die den Stifter peinlich berührten. Doch wurde die Anstalt verhältnismässig noch schnell vollendet, und sie sollte dem hl. Joseph, dem Namenspatron des Stifters, geweiht werden. Der Tag der Einweihung wurde mit Sehnsucht erwartet. Der Bischof von Münster war leider kurz vor der Einweihung gestorben. Eine besondere Fügung war es nun, daß ein alter Freund Spithövers die Einweihung seiner Stiftung vornehmen sollte. Im Jahre 1852 hatte Spithöver als Camerlengo dem jungen Kaplan Joseph Giese, der mit der theologischen Doktorwürde geschmückt nach Rom kam, eine Studienkaplanei übertragen lassen. Dr. Giese, der bekanntlich Generalvikar und nach dem Tode des Bischofs auch Kapitularvikar war, sollte es vorbehalten bleiben, der Stiftung seines alten Freundes und Gönners am 16. Spt. 1889 die kirchliche Weihe zu geben. Das war ein Freudentag für die Gemeinde, wie ihn Sendenhorst weder vorher noch später erlebt hat. Dem edlen Stifter wurde bei seiner Ankunft ein glänzender Empfang bereitet, um ihm äußerlich für sein Liebeswerk zu danken.

Über die Festfeier hat der Kaplan Happo von Füchtorf, ein geborener Sendenhorster, der sich auch als Dichter und Schriftsteller einen Namen erworben hat und allzufrüh mit 34 Jahren als Vikar in Südkirchen gestorben ist, einen Bericht geschrieben, der sich im Elternhause des Verfassers vorfand. Er mag eine willkommene Ergänzung der Biographie bilden.

"Sendenhorst, 16. September 1889. Eine schöne erhebende Feier fand heute in unserem sonst so stillen Städtchen statt, eine Feier, die um so mehr zum Herzen spricht als ihre Veranlassung edlen Motiven, der wahren christlichen Wohltätigkeit und Nächstenliebe entspringt. Wie bekannt, hat ein Kind unseres Ortes, der seit langen Jahren in Rom lebende frühere Buchhändler, jetzt Rentner Joseph Spithöver uns mit einem Krankenhaus beschenkt, und dieses steht nun heute da, nach innen wie nach außen vollendet und zweckentsprechend eingerichtet, die erste und schönste Zierde unseres Städtchens, ein ewiges Denkmal für den edlen Sinn des Stifters. Kommt man von Drensteinfurt, so haftet das Auge schon von weitem an dem herrlichen Turme; jedoch überraschender ist der Anblick, wenn man die ganze Anstalt vor sich hat. Auf einem Areal von 9 Morgen erhebt sich ein 75 m langes Backsteingebäude mit vorspringenden Flügelbauten von 10 m Tiefe. Die Mitte des Hauptbaues ziert ein elegant im gotische Stile aufgeführten Turm, an dem sich besonders das geschmackvolle Portal aus weißen Sandsteinen vorteilhaft abhebt. Dieser Turm dient als Treppenhaus und bildet den Mittelpunkt des ganzen Verkehrs. Nach hinten schließt sich an den Turm ein reizendes Kirchlein mit etwa 500 Plätzen. Erwähnen wir hier besonders das anmutige Altarbild des hl. Josephs, das den Namenspatron des Stifters und der Anstalt darstellt, nach einem römischen Original von einem römischen Meister gemalt. (Das Original befindet sich auf dem Triumphbogen von St. Maria Maggiore in Rom, der ref.) Die Kirche steht mit dem Krankenhaus so in Verbindung, daß drei Etagen Zugang zu ihr haben. Der vergoldete Altaraufbau (von Herrn Friedrich Bruun, Münster) die Bildeinfassung und die Mensa (Bildhauer Strickmann, Sendenhorst, die reichverzierte Orgel (Fleiter, Münster), die Fenstermalerei (Anton und Viktor von der Forst, Münster) die Kommunionbank (Rinklake, Münster), alles so zweckentsprechend und verständnisvoll ausgeführt und gruppiert, daß die harmonische Gesamtwirkung ausgezeichnet ist. Doch vergessen wir nicht den Meister des Ganzen: Herrn Architekt Rinklake (Münster), der sich hier ein Werk geschaffen hat, so edel in seinen Formen, so solide in der Ausführung, daß man ihm zu dieser Leistung aufrichtig Glück wünschen muss, ebenso wie den Sendenhorster Meistern, die unter seiner Leitung wirkten; den Herren Zimmermeister Brandhove und Maurermeister Schmetkamp. Auch Herr Stape, der eine ausgezeichnete Klingeleinrichtung im ganzen Gebäude etablierte, die Meister Klingelmann und Westmeyer, ersterer Schöpfer des reichen Orgelgehäuses, letzterer des Beichtstuhles, alle drei Sendenhorster Bürger verdienen das Lob. Das melodische Glockengeläute (in h, d e abgestimmt) ist mit jenem der Pfarrkirche in Harmonie gebracht und stammt aus der bekannten -Glockengießerei Edelbrock in Gescher.
Das eigentliche Krankenhaus enthält 50 Räume im Erdgeschoß und in den zwei Stockwerken. Sämtliche Decken sind massiv gewölbt, der Fußboden ist in feuersicherem Guß hergestellt. Die Gänge liegen nach Norden, die Fenster der Zimmer nach Süden. Ein schöner, mit Mauer und Gitter umfasster Hof, ein großer Garten und kleinere Nebengebäude vollenden das Bild. Es wird wohl auf lange Jahre hinaus mehr als reichlich Raum bieten für die Kranken des Ortes. An der Einrichtung der Räume ist nichts gespart. Auch ein besonderer Operationssaal mit allem Notwendigen ist vorhanden.
Soviel wir erfahren konnten, belaufen sich die Anlagekosten auf ca. 350 000 Mark. Der Unterhalt der Anstalt ist durch eine Stiftung von 330 000 Mark durch den Geschenkgeber gesichert.

Das zu der heutigen Einweihung der Anstalt ganz Sendenhorst auf den Beinen war, begreift sich leicht. Bereits seit gestern prangen alle Straßen im Festschmuck. Fahnen, Kränze und Blumen zieren jedes Haus. Gestern Nachmittag gegen 6 Uhr traf der Stifter, Herr Joseph Spithöver, mit Verwandten und Freunden von Münster kommend hier ein. Bereits am Bahnhofe in Drensteinfurt harrten seiner 14 Wagen nebst 6 Vorreitern, und im Triumphzuge ging es auf Sendenhorst zu. An der Grenze der Feldmark schlossen sich noch 50 Reiter, unter ihnen Baron von Hausen, dem Zuge an. Ganz Sendenhorst aber sammelte sich am Krankenhause, wo Halt gemacht wurde. Fünfzig weißgekleidete Mädchen bildeten Spalier vom Gittertore über den Hof bis zur Vorhalle. Nachdem der Baumeister unter entsprechender Ansprache dem Stifter die Schlüssel überreicht hatte, begrüssten zwei weißgekleidete Mädchen Herrn Spithöver mit folgendem, vom Herrn Kaplan Happe, einem Sendenhorster, jetzt in Füchtorf, verfassten Gedicht:

"Die Vaterstadt heißt Dich willkommen,
Sie grüsset ihren Sohn und Gast.
Wie ist Dein Blick so hell erglommen,
Wie schlägt Dein Herz in freud'ger Hast.
Einziehst Du durch den Ehrenbogen,
Der hoch die Straße überspannt.
Die Kränze weh-ä, die Fahnen wogen,
Rings Laubgewind und Festgewand!
Hier hast Du einst geweilt als Knabe,
Gelebt als Jüngling und gestrebt.
Hier standest Du am Wanderstabe,
Die Brust von Trennungsweh durchbebt.
Dann flog Dein Geist hinaus ins Weite
Voll Gottvertraun und Wagemut,
Der Heimat Bild blieb Dein Geleite,
In Südens Glanz und Südens Glut.
Fort rollte Dir ein halb Jahrhundert,
Es zollte Dir der Mühen Preis.
Heut kehrst Du heim, geehrt, bewundert,
Ein jugendfrischer froher Greis.
Du trittst in uns'rer Bürgermitte,
- Lies in ihrem Aug' den Dank!
Erfreue Dich an uns'rer Sitte,
An uns'rer Treue ohne Wank!
Wir sind in Liebe Dir verpflichtet,
Wie schau'n bewegt zu Gott hinauf,
Dem hast ein Wohnhaus Du errichtet,
Drin nimmst Du seine Liebsten auf.
So oft die Glocken ihm erklingen,
So oft hier Weh und Weinen schweigt,
Soll himmelan der Dank sich schwingen
Der segnend auf Dich niedersteigt".

Tiefgerührt öffnet nun der Herr Spithöver die Tür der Anstalt, worauf dann im Kirchlein das "Danket dem Herrn"! von Gäbler aus tiefbewegtem Herzen emporstieg. Abends traf der Hochw. Herr Kapitularvikar Prälat Dr. Giese von Münster ein. Heute früh bewegte sich ein langer Zug mit Fahnen und weißgekleideten Mädchen von der Pfarrkirche zum Krankenhaus, wo dann der Hochw. Herr Kapitularvikar, umgeben von scheren einheimischen und fremden Priestern, darunter drei Herren aus Amerika, die Weihe des Gotteshauses und des Hauses der christlichen Liebe vornahm. Inzwischen war die Gemeinde weiter gezogen bis zur Stadtgrenze bei Niesterts Kreuz; denn dort wartete ihrer noch ein weiteres höheres Geschenk: ein wertvolles Kreuz, ursprünglich von Künstler Eschenbach gefertigt aus den alten Krahnen des Kölner Domes, vom Kölner Domkapitel, dem hochseligen Papste Pius IX. verehrt, aus dessen Nachlaß es Herr Spithöver erhalten. Ursprünglich war es für das Sterbezimmer der sel. Katharina Emmerich bestimmt. Da dies indes noch nicht zur Kapelle eingerichtet werden konnte, so hat es jetzt im neuen Krankenhause von Sendenhorst seinen Platz erhalten. Herr Spithöver ließ dem Kreuz ein großes Stück vom wahren hl. Kreuze, ein Reliquie vom hl. Ludgerus und vom hl. Augustinus einfügen. Mit großer Andacht empfing die Menge diese hl. Reliquie und führte sie in geziemender Weise zur Kirche, wo dann ein feierliches Hochamt vom Herrn Pastor Beckmann gehalten wurde.

Da die Räume die Menge hier unmöglich fassen konnten, so zog nach dem Hochamt die Prozession zur Pfarrkirche, wo der Hochw. Kapitularvikar die Festpredigt hielt, der er folgende Worte zugrunde legte: "Laßt uns Dank sagen dem Herrn unsern Gott!" Unter gespanntester Teilnahme der dichtgedrängten Gemeinde führte der Hochw. Herr in der ihm eigenen ergreifenden Weise aus, wie sehr die Gemeinde Sendenhorst Grund habe, Gott zu danken, weil sie erstens ein neues Gotteshaus erhalten, weil sie ferner im St. Josephstift mit einer Pflegestätte für die leidenden, mit einem Hort für die noch nicht schulpflichtigen Kinder, mit einem Asyl der hilfsbereiten, barmherzigen Schwestern beschenkt worden sei. Kein Auge blieb trocken, als der Redner ermahnte, Sorge zu tragen, daß man am Tage des Weltgerichts nicht mit leeren Händen komme, sondern Werke der Barmherzigkeit vorzeigen können, als er erzählte, wie vor etwa 70 Jahren von christlichen Wohltätern ein armer Knabe dem Elend entrissen wurde, wie dieser mit Gottes Segen zu Reichtum gelangte und heute durch Stiftung der prächtigen Anstalt seinen Dank abstattet, dabei noch ein neues Band schaffend zwischen Rom, seiner jetzigen Heimat, und Sendenhorst.

Nachdem der Hochw. Herr namens der Diözese dem edlen Stifter in den wärmsten Ausdrücken gedankt und Gottes hundertfältigen Segen auf ihn herabgerufen hatte, schloß die erhebende kirchliche Feier mit dem Te Deum.
Heute Nachmittag findet ein Festmahl statt zu Ehren des Geschenkgebers. Mehr als 200 Personen beteiligen sich daran. Mit Fackelzug, Illumination und Feuerwerk soll der schöne, für Sendenhorst ewig denkwürdige Tag enden"
Soweit der Bericht. Der Fackelzug machte, wie es manche von uns noch wissen werden, vor dem Pastorat Halt. Auf der Freitreppe stand der Geehrte tränengerührt über die Beweise der dankbaren Liebe. Als die Musik verstummt und das Jubelrufen sich gelegt hatte, ergriff der greise Spithöver das Wort. Bescheiden lehnte er die Ehrungen für sich ab und dankte dem gütigen Gott, der ihn zum Werkzeuge seiner barmherzigen Liebe zu den Menschenkindern gemacht habe.

Nach der Feier bleib Spithöver noch einige Tage in der Heimat, regelte die vielfachen Angelegenheiten des Stiftes. Durch das Vermächtnis von 300 000 Mark hoffte er die Stiftung für alle Zeit sicherzustellen zum Wohle seiner Heimat. Nach Rom zurückgekehrt, war ihm kein langer Lebensabend mehr beschieden. Am 12. Januar 1892 starb dieser große Wohltäter der Menschheit in der ewigen Stadt und fand an der Seite seiner Schwester und in der Nähe der Grabstätte seines Freundes Wilhelm Achtermann seine letzte Ruhe. Ein einfaches Holzkreuz kennzeichnet das Grab, und eine schlichte Tafel an der Wand des Oratoriums erinnert an ihn und seine Schwester.
Der noch mehrere Millionen zählende Nachlaß ging an die Familienmitglieder, insbesondere in den Besitz der in Rom wohnenden Familie Haaß über, die das Geschäft weiter betreibt. Auch war in dem Testament noch viel Geld für gute Zwecke bestimmt.

Spithöver lebt nicht mehr, aber sein Andenken lebt fort in dem stattlichen Spital in seinem Geburtsorte. Der Fortbestand und die Entwicklung der Stiftung nahmen zwar eine andere Richtung an infolge der Zeitverhältnisse, die der Stifter nicht voraussehen konnte. So ging das Stiftungskapital, soweit es nicht in sicheren Werten angelegt war, zum großen Teil verloren. Aber unermeßlicher Segen ist in dem 40jährigen Bestehen von der Stiftung ausgegangen.
Warum war nun Spithöver so edler Taten fähig? Er hatte ein unbegrenztes Vertrauen zu Gott, dem Vergelter alles Guten, dazu eine opferfreudige Liebe zu der Stätte, wo ihm Gott das Leben geschenkt hatte. Dem Geburtsort Sendenhorst gelten auch die Worte Goethes:

"Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht. nach hundert Jahren
Klingt sein und seine Tat
Dem Enkel wieder."

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