Die Sendenhorster Johannisbruderschaft

Das Traditionsbewußtsein der Sendenhorster Johannisbruderschaft nährt sich aus einer Jahrhunderte alten Vergangenheit. Über ihre Anfänge sind unmittelbare Zeugnisse, die über das Geburtsjahr einwandfrei Auskunft geben könnten, nicht vorhanden. Doch wurde im Jahr 1906 das 300jährige Bestehen feierlich begangen und aus diesem Anlaß eine Fahne enthüllt

Joannisbrüder-Schützenfest 1926 im Saal Werring

Der Hinweis auf das Jahr 1606 findet sich ferner in einem gedruckten Liederheft der Johannisbruderschaft aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts und solange nicht die überlieferte Auffassung in Zweifel gezogen bzw. widerlegt wird, dürfte sie ihr gutes Recht für sich haben.

So verfolgen die Sendenhorster Johannisbrüder ihre Tradition über mehr als dreieinhalb Jahrhunderte zurück bis in die Zeit vor dem 30jährigen Krieg. Seine schicksalsvollen Ereignisse haben die früheren Jugendjahre dieser Bruderschaft überschattet. Ständige Wehrbereitschaft und die Bewährung in schwerer Notzeit kennzeichnen das Gesetz, nach dem die Johannisbruderschaft angetreten ist, wie es bei zahlreichen ähnlichen bürgerlichen Zusammenschlüssen bereits im Mittelalter der Fall war. Die Unruhen der Zeiten verlangten Schutzmaßnahmen, die das Leben der Bürger vor Überfällen, Plünderungen, Mordtaten durch verantwortliche Selbsthilfe sicherten.

Die Mitglieder der Bruderschaft stellten sich, wie ihr Name erkennen läßt, unter den Schutz des hl. Johannes, der in Sendenhorst schon früh verehrt wurde. In der dem hl. Martin geweihten Stadtkirche gab es einen Johannes-Altar. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts (1447) wurde die Vikarie St. Johannes, dem „Täufer“ zu Ehren auch St. Baptist genannt, gegründet. Unter dem bekannten Fürstbischof Christoph Bernard von Galen (1651 – 1678) gestalteten sich im Zeitalter der Glaubenserneuerung die Beziehungen zwischen Bruderschaften und Kirche besonders eng. Zwar liegen schriftliche Zeugnisse über diese Entwicklung für Sendenhorst speziell nicht vor, doch darf man annehmen, daß sich die Johannisbrüder dem kirchlichen Leben gleichfalls wieder eng verbanden und daß sie in Sitte und Brauch wieder Gewohnheiten pflegen, wie sie vor der Reformationszeit in dem an religiösem Brauchtum so reichen Mittelalter bestanden hatten. An kirchlichen Festen wie an Brandprozessionen nahmen die Johannisbrüder mit ihrer Fahne teil, bei Prozessionen begleiteten sie als Ehrenwache das Sanktissimum. Je mehr jedoch sich die Macht des Landesfürsten festigte, der Ruhe und Ordnung energisch in seine Obhut nahm, desto mehr verlor die Bruderschaft ihre ursprüngliche Zweckbestimmung als bürgerliche Wehrgemeinschaft. Ihr Zusammenschluß war jedoch so fest und innig, daß eine Auflösung nicht in Betracht kam, und so fanden sich alljährlich um die Sommersonnenwende die Johannisbrüder im friedlichen Wettstreit bei Musik, Gesang und Becherklang zu einem Volksfest zusammen, bei dem wahre Freude aus echter Volksgemeinschaft quoll, und die Sorgen für ein paar Tage und Stunden vergessen wurden. Geschichtliche Quellen berichten aus dem Jahre 1811, daß die Feier drei Tage dauerte. Sie bestand in einem festlichen Umzug durch die Stadt, Scheibenschießen auf der Stadtheide (Ostheide) und gemütlichem Zusammensein mit Tanz auf dem Rathause, das eben nicht nur wie heute nüchternes Verwaltungsgebäude, sondern der eigentliche Festsaal der Bürgerschaft war. Das Bier wurde eigens zu diesem Feste gebraut. Der damalige Bürgermeister Langen machte in Anbetracht der Lebensmittelknappheit den Versuch, die Feier des Festes auf zwei Tage zu beschränken. Er wies darauf hin, daß mancher Handwerker nicht nur allein einen Tagelohn verliere, sondern „nebst dem noch Kostenaufwand und Kleidung macht“. Aber mit diesem Versuch kam der Bürgermeister nicht durch. Die Johannisbrüder setzten sich energisch zur Wehr, und es gelang ihnen, für 1813 einen Erlaubnisschein zu erwirken, der ihnen den für 1812 offenbar untersagten dritten Festtag wiedergab. Darüber gibt ein Dokument Auskunft, das sich im Protokollbuch der Johannisbrüder befindet und folgenden Wortlaut hat:

„L. S. Sendenhorst, den 28. Juni 1813.

Der Maire an den Vorsteher der Johanni Bruderschaft, dahier

Die edele Gesinnungen, welche die Johanni Bruderschaft gegen den allergrössten Monarchen von Eurapa, unsern Beschützer, durch Ihre Vorstellung vom 18ten d. ! M. an Tag gelegt haben, sind von der Art, daß ich nicht nur allein die Erlaubnis zu einer 3tägigen Lustbarkeit und einem Scheibenschiessen am 27. d. M. erteile, sondern ich werde auch höheren Orts den Patrotismus der Sendenhorster Johanni Brüder an Tag legen …

Übrigens gestatte ich nur 3 Tage zu dieser Lustbarkeit und jeden Tag nur bis des Nachts ein Uhr. Zur Armen-Casse werden für dieses mal 4 rthl. gleich bey Insiunation dieses gezahlt. Meine Gebühren und Stempel werden aus Regarde für die Bruderschaft niedergeschlagen. Die Herren Vorsteher bleiben nur für all-allenfallstigen Unglücksfälle beym Scheibenschießen und für jede Unruhe und sonstiges Vergehen verantwortlich und keine Kinder dürfen unter 15 Jahren in der Nähe zugelassen werden. 

Gegeben auf Mairei Burau am Tage wie oben.

Der Maire: gez. Langen“

Bis auf den heutigen Tag hat sich das Johannisbrüderschützenfest erhalten. Unsere Vorfahren haben es verstanden, ihre Feste zu feiern. Das Schützenfest nahm am Samstagabend mit der Aufnahme neuer Mitglieder und einer Wein- und Bierprobe seinen Anfang. Der Sonntag war frei, und der Montagvormittag begann nach einem Gottesdienst mit anschießendem Töttchenessen und Kampf um die Königswürde. In bestem Staat (Gehrock und Zylinder), die Gewehrspitze mit einer Blume bekrönt, marschierten die Johannisbrüder unter Begleitung einer Musikkapelle mit Fahne zur Mühlenkuhle. Dort wurde dann auf Scheiben geschossen. War der beste Schütze ermittelt, so wurde er zum König der Johannisbrüder proklamiert. Dieser wählte sich seine Königin, in der Regel seine Frau. Ein kleiner Umzug durch die Stadt beschloß die Veranstaltungen des Vormittags. Der Nachmittag war bei Kaffee und Kuchen den Damen gewidmet. Gegen 6 Uhr wurden sie von den Männern abgeholt. Der stattliche Zug führte dann zum Hause des Königspaares, von dort setzte sich ein Festzug in Bewegung. Gegen 8 Uhr begann der Festball. Jung und alt saßen an getrennten Tischen, doch galt die Aufmerksamkeit der Alten im Verlauf des Abends ihren „Jungen“, insbesondere dann, wenn der perlende Wein fröhliche Stimmung aufließ. Die Jungen tanzten ohne Unterlaß. Wenn aber die Debbeltsche Musikkapelle aus Drensteinfurt die Königsquadrille intonierte, dann wurden auch die Alten lebendig und drehten sich mt der ergrauten Ehehälfte im Kreise. Humoristische Vorträge und gemeinschaftliche Lieder wechselten sich ab. Im Morgengrauen nahm das Fest sein Ende. Mit Musik wurde das Königspaar nach Hause begleitet, dort bildete sich auf der Straße ein Kreis, und der Kehraus wurde getanzt. Ein letztes Hoch, ein Fahnenschwenken und heimwärts zog die Schar. Dienstagabend fand eine Zusammenkunft statt, bei der die Reste verabreicht wurden. So ist es im großen und ganzen heute noch.

Einen alten Brauch haben die Johannisbrüder in ihren Aufnahmebedingungen festgelegt: Wer in die Bruderschaft aufgenommen werden will, hat sich am Vorabend des Festes (SONN-abend) einer Abstimmung mit schwarzen und weißen Bohnen zu unterwerfen, die schwarzen entscheiden gegen, die weißen Bohnen für die Aufnahme. In einer Prüfung muß er seine Trinkfestigkeit unter Beweis stellen. Sind dem Anmeldenden mehr weiße Bohnen zugefallen, dann hat er den bekränzten historischen Becher, mit edlem Naß gefüllt, in einem Zuge zu leeren.

Ein weiterer alter Brauch ist noch, daß die ältesten Mitglieder der Bruderschaftsversammlung vier Kürgenossen angeben, die den Vorstand wählen. Dieser besteht aus dem Obersten und seinem Stellvertreter, dem Leutnant und seinem Stellvertreter und dem Schriftführer. Außerdem werden Sachverständige für die Bier- und Weinprobe gewählt.

Wie jede bruderschaftliche Gemeinschaft beim Tode ihrer Mitglieder bestimmte Formen pflegt, so tun es auch die „Jansbrüörs“. Der Verstorbene wird von den Angehörigen der Bruderschaft getragen, alle „Brüder“ geben ihm das Ehrengeleit. Das Gleiche trifft auch auf die Witwen zu, wenn sie die Mitgliedschaft aufrecht gehalten haben.

Die Schützenfeste der Johannisbrüder hatten es in sich, und nicht immer hat der eifrige Alkoholzuspruch mit seinen sichtbaren und hörbaren Folgen die Zustimmung des Pfarrers Kuipers gefunden. Daß die Johannisbrüder freilich nicht nur „Saufbrüder“ waren, wie es in einem kirchlichen Buch gesagt sein soll, zeigt sich u. a. darin, daß sie für die neu erbaute Pfarrkirche einen Altar stifteten, den sie dem Stadtpatron zur Ehren St. Martin nannten.

Als Zeugen der geschichtlichen Vergangenheit der Bruderschaft haben sich die Königskette und der Becher erhalten. Manch stattliche Schützenbrust hat die Kette in all den Jahrhunderten geschmückt, manche Schicksale hat sie über die Bruderschaft und die Gemeinde kommen und gehen sehen. Die 119 angebrachten Schilder künden von Freundschaft und Brudertreue, von guten und trüben Zeiten, von Freude und Trauer und sprechen von dem Gemeinschaftsleben der Bruderschaft. Die alte Kette soll eine große Bürde für den Würdenträger gewesen sein, da sie bis zu den Knien herab hing. Bei einer Feuersbrunst im Jahre 1806 fielen die Insignien, die während der Regentschaft im Haus des Königs bei Heinrich Feiling, heute Th. Linnemann (Nordstraße), aufbewahrt wurden, dem wütenden Element zum Opfer und schmolzen. Aus den Überresten des Silbers wurde ein ovales  Brustbild in Größe von 19 mal 23 cm mit dem Bild des hl. Johannes und dem Lamm Gottes angefertigt. Die Umschrift lautet: „Ich bin eine Stimme des Rufenden in der Wüste. St. Johannis Baptista Patronus noster 1810.“  Von dieser Zeit an stammen auch die Schilder, die den Namen des Königs mit ihrer Jahreszahl und einen sinnreichen Spruch tragen. Aus der Vielzahl der Königsschilder können aus Raumgründen nur einige wenige angeführt werden:

1812: Vivat Amandus Johannes Wiegers, Schützenkönig 1812. Die Inschrift ist umgeben von folgendem Spruch: Der Amandus hat befohlen, man soll das Brot vom Bäcker holen.

1820: Adolphus Stapel, König Sendenhorst
1820, Rückseite mit Bild vom Einzug Christi in Jerusalem und Spruch:  Siehe, Dein König kommt zu Dir, der ist gerecht und Dein Helfer. Zach 9 e 9 a.

1923: Anton Brandhove, König der Johannisbrüder 1923, Zirkel und Winkel, Rücks. Milliard und Billion   Sah ich auf dem Königsthron, doch die Rentenmark bald darauf, brachte einen anderen Lauf.

1920: Laurenz Kock, König der Joahnnisbrüder 1927. Rückseite zeigte den Spruch: So sehr wie dieses Jahr Noch nie der Thron belastet war, Denn das Königspaar gesund und rund Es wog beinah 500 Pfund.

1931: Eberh. Haselman, König der Johannisbrüder 1931. Rückseite: Vom Küster ward zum König  ich In Deutschlands schwerster Zeit, Drum regierte auch zwei Jahre ich Ohne jede Festlichkeit

So reden die Sinnsprüche eine beredte Sprache von bedeutungsvollen Geschehnissen vergangener Zeiten. Stets ist die Johannisbruderschaft bemüht, einen gesunden und fröhlichen Geist zu erhalten, Gottesfurcht und Freundschaft zu pflegen und Liebe und Eintracht zu fördern, getreu dem Wort des Dichters:

„Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“

 

 

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