Führungsschichten in Sendenhorst - von der Stadtgründung ca. 1310 bis ins 20. Jahrhundert

Um 1315 erhob Bischof Ludwig von Hessen sein bisheriges Kirchdorf Sendenhorst zu einer Stadt. Mehr als 25 ha, für Städte dieser Entstehungszeit ungewöhnlich großflächig. wurden umwallt und mit Planken und Graben versehen. Nach genauer Berechnung 25,7 ha. Wie ein Vergleich von Wortgeldabgaben an Überwasser zeigt, wurde das Stadtgebiet im Osten zwischen 1390 und 1468 um ein Drittel, d. h. um die Fluren Höckerskamp und Alte Stadt. verkleinert. Damit dürfte die in Sendenhorst oft diskutierte Frage nach der Bedeutung des Flurnamens Alte Stadt beantwortet sein.

Sendenhorst, Stadtplan um 1770 (aus alten Urkunden unter Berücksichtigung der Stadtentwicklug gezeichnet).

Im südlichen Teil der neuen Stadt residierte in einem festen Haus der bischöfliche Gograf. Grund und Boden der neuen Ansiedlung stellte der bischöfliche Pastoratshof nach Weichbildrecht, d. h. nach dem Prinzip der freien Erbzinsleihe. Daneben waren weitere Grundherren, insbesondere das Damenstift Oberwasser, an der Bereitstellung von Grundstücken beteiligt.

Die junge Stadt hatte gute Startvoraussetzungen. Die Pfarrei war mit 18 Mark Jahreseinnahmen ausgestattet und gehörte damit zu den reichsten des Bistums, was sowohl auf hohes Alter als auch auf eine wohlhabende, zahlenstarke Bevölkerung schließen läßt. Der Ort war Sitz eines Go- und Freigerichtes, und in den sieben Bauerschaften gab es zu dieser Zeit noch mehrere freie Höfe, deren Inhaber angesehen, nicht unbemittelt und vor allem nicht an die Scholle gebunden waren.

Da an den Stadtgründungen des 14. Jahrhunderts keine Fernhandelskaufleute mehr beteiligt waren, stellt sich die Frage nach der organisatorischen Kraft, die den Bau der Befestigungen, die Aufteilung der Grundstücke, die Planung von Straßen und Plätzen leitete. Zweifellos waren die örtlichen Pfarrer. die Plebane, maßgeblich am Aufbau der Stadt beteiligt. In den Urkunden des ersten Gründungsjahrzehnts zeugen sie oder ihre Kapläne an erster Stelle. In einer Urkunde des Jahres 1373 stehen Ratsherren und Kirchenprovisoren gleichberechtigt nebeneinander. Und endlich bewies die junge Stadt durch die Obernahme des Kirchenpatrons St. Martin in das Stadtsiegel ihre enge Verbindung mit der Pfarrei.

Die mittelalterliche Stadt hatte, genau wie die heutige ihr Selbstverwaltungsorgan, das Schöffen- oder auch Ratskollegium. An der Spitze standen häufig zwei Bürgermeister. Schließlich verfügte sie über einen vom Landesherrn unabhängigen Richter. Welche Familien waren in der kleinen Stadt Sendenhorst ratsfähig? Welchen Schichten gehörten die Personen an, die das Geschehen in der Stadt und ihre Entwicklung bestimmten? Diese Frage stellt sich für die einzelnen Entwicklungsabschnitte immer wieder neu und soll im Folgenden abrißartig beantwortet werden.


Bild: Älteses erhaltenes Stadtsiegel von 1359 - Bisher galt ein Siegel von 1498 als das älteste.

1300-1500: Freie Bauern und Ministeriale

Man darf annehmen, daß bereits vor der Erhebung zur Stadt rund um die Kirche eine dichte Bebauung bestand; Häuser von Tagelöhnern, Handwerkern, Kleinkaufleuten. Die Umwallung einer verhältnismäßig großen Fläche machte die Ansiedlung weiterer Familien notwendig. Da die Freizügigkeit der hörigen Bauern sehr eingeschränkt war, konnte die Besiedlung nur durch Bürger anderer Städte, durch Abkömmlinge von Freibauern oder durch Ministeriale, d. h. ritterliche Dienstmannen, erfolgen. Vor allem das freibäuerliche und ministeriale Element bestimmten im ersten Gründungsjahrhundert die Entwicklung der Stadt. Bis 1370 gab es in und um Sendenhorst mindestens 12 Höfe, die von freien Bauern bewirtschaftet wurden. Eine Urkunde des Freigrafen Johann von Rynchoven (vom späteren Hof Greive) führt 1318 elf Freie aus dem Raum Sendenhorst auf.
1367 kauft Bischof Florenz von Wevelinghoven von den Edelherren von Büren fünf Freistühle bei Sendenhorst auf. "Er bereicherte seine Kirche und befreite seine Untertanen", schreibt hierzu der Chronist. Tatsächlich befreite er die Freibauern Levekemann, ton Sodene (Suermann), Greve (Greive) sowie den Bewirtschafter der Bertenhove auf der Hardt (später Hartmann) und der Beatrishove zu Mellinghoven (wohl Watermann) von ihren Höfen, die er zur Beschaffung des Kaufpreises der Freistühle an münstersehe Geistliche verkaufte. Die persönliche Freiheit war zwar vom Verkauf ausgenommen, aber die Familien mußten sich um eine neue Existenz bemühen.
Die Ton Sodene - Suermann finden wir in der Folgezeit als Ministeriale im Besitz eines kleinen Kottens nordöstlich der Stadt. Angehörige der Familie Levekemann finden sich wiederholt in städtischen Urkunden. Ihr Wohnsitz in der Stadt ist unzweifelhaft. Von weiteren 1318 aufgeführten freien Familien begegnet Johan Hoykeman 1391 als Bürgermeister.
Bei Verkäufen der ersten Hälfte des 11 . Jahrhunderts tritt der heimische Adel in stattlicher Zeugenreihe auf. Bis zu 20 Knappen oder Ritter bestätigen Eigentumsgeschäfte vor dem Sendenborster Gericht. Der größte Teil dieser Personen war in oder bei Sendenhorst begütert und wohnte in der Stadt. Zu nennen sind vor allem die Familien von Quernheim, Rietberg, von der Wisch, von dem Berge, von der Hegge, Buck usw. Ungefähr ein Viertel der Sendenborster Vollhöfe befand sich in freiem Eigentum dieser Geschlechter, die z. T. durch Wappengleichheit gemeinsamen Ursprung verraten.

Aber nur wenige Jahrzehnte lang scheint Sendenhorst auf den Landadel größere Anziehungskraft ausgeübt zu haben. Sehr bald setzte die Abwanderung in die Bischofsstadt Münster und der Ausverkauf von Gütern an münstersehe Bürger ein. Den Sendenhorster Richter Ludolf von der Wisch vom gleichnamigen Lehngut in der Bauerschaft Bracht finden wir 1330 als Richter zu Münster.

Die Sadelhöfe Schulze Bernd und Schulze Heinrich sowie zwei kleinere Höfe in der Bauerschaft Brook werden zwischen 1326 und 1346 an münstersche Bürger verkauft. Weitere Verkäufe gingen an die Klöster Freckenhorst und Vinnenberg. Die allgemeine Strukturkrise des 15. Jahrhunderts verschonte auch den in Sendenhorst ansässigen Adel nicht. Die Familie von Rietberg - besonders eng mit der Stadtentwicklung verbunden - starb 1426 aus. Die Familie von dem Berge war zwar weiterhin in Sendenhorst begütert, wohnte aber auf Haus Neuengraben (Enniger). 1498 lebten nur noch die Witwe von der Heghe und die erst um 1450 zugezogenen Kuntschaps gt. Möllenbeck in der Stadt.

Bild: Um 1912 wurde das alle Sendenhorster Rathaus erbaut.

1500-1800: Freie Pächter und Handwerker

Bis zum Jahre 1500 war die Verfügungsgewalt über die Höfe und Ländereien im Raume Sendenhorst fast ausschließlich in nichteinheimische I-lände gegangen, vor allem an münstersehe Bürger, aber auch an die wenigen Adelsfamilien, die der Ausleseprozeß des ausgehenden Mittelalters übrig gelassen hatte. Seit 1482 hatte sich das Fraterhaus zu Münster maßgeblich in diesen Prozess eingeschaltet, indem es zielbewusst Höfe und Ländereien nördlich und nordöstlich der Stadt aufkaufte und in der Stadt selbst einen Häuserkomplex im Winkel Nordstraße / Kirchstraße an sich brachte.
Mehr als 250 Jahre lang waren die Fraterherren ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor. Sie erwarben im 15. und 16. Jahrhundert mindestens fünf Höfe, dazu zahlreiche Hausstellen, Kämpe und Gärten. Die in der heimatgeschichtlichen Literatur wiederholt vorgebrachte Behauptung, Sendenhorst habe ein Kloster gehabt, hat hier ihren Ursprung. Die gezielten Grundstücksverkäufe nördlich des Kirchplatzes lassen vermuten, daß die Fraterherren eine Niederlassung planten. Realisiert wurde der Plan nie.

Der Sendenhorster Bevölkerung, insbesondere der jetzt ratsfähigen Schicht, blieb neben dem Handwerk nur die Möglichkeit der Anpachtung kirchlicher oder adeliger Güter und Ländereien. Die Pachtzeit betrug gewöhnlich 12 oder 24 Jahre. Der  Pachtzins war tragbar, und im Gegensatz zu den hofhörigen Gütern entfielen die Besitzwechselabgaben (Sterbefall, Weinkauf). Diese Zeitpächter erbauten sich - ein Erfordernis des landwirtschaftlichen Betriebs - größere, stattlichere Gebäude. Sie bekleideten die Ämter des Bürgermeisters oder Kirchenprovisors und waren häufig untereinander verwandt oder verschwägert. Insgesamt gesehen bildeten sie eine nicht sehr stabile, für Fremde durchaus offene Schicht, die die Masse der Bevölkerung nicht bedeutend überragte.

Von den zahlreichen Pächterfamilien (Berufsbezeichnung im 18. Jahrhundert: Wirtschafter) seien hier nur aufgeführt: Torwesten (seit 1471), Angelkotte gt. Kaisendorf (seit 1590), Wettendorf (17 . Jahrhundert), Suermann (ab 1630), Fye (seit ca. 1650) und vor allem Bonse, deren erster Vertreter bereits 1327 als Ratsherr auftritt und die lange Zeit den Liesborner Hof Rüschey in Pacht hatten.

Im 16./17. Jahrhundert wurden die ratsfähigen Familien zeitweilig durch Zuzug aus Münster erweitert. Die Wiedertäuferunruhen sowie mehrere Epidemien in Münster trieben die Roddes, Wulfferts, Bispings und Ockes - um nur die wichtigsten zu nennen - auf ihre ländlichen Besitzungen vor Sendenhorst, die sie zeitweilig selbst bewirtschafteten. Urkunden dieser Zeit zeigen, daß sie auch am städtischen Leben aktiv teilnahmen. Doch die Zuwanderung aus Münster blieb Episode. Im 18. Jahrhundert wohnte weder der Besitzer des Hauses Sendenhorst, Graf von Merveldt, noch der jeweilige Gograf und Richter am Orte. Die steuerfreien Güter des Adels, der Kirche und der münsterschen Erbmänner waren ausnahmslos verpachtet. Die Sendenhorster waren wieder unter sich.

19. Jahrhundert: Beamte, Bauern, Brenner

Die napoleonische Gesetzgebung zu Anfang des vorigen Jahrhunderts brachte nicht nur den hofhörigen Bauern die persönliche Freiheit, sie gab auch den Zeitpächtern adeliger und kirchlicher Güter die Möglichkeit diese zu Eigentum zu erwerben. Damit kehrte die volle Verfügungsgewalt über die Ländereien rund um die Stadt endlich wieder an ihre Bürger zurück. Die Branntweinbrennerei - schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts betrieben - wurde ein Haupterwerbszweig der führenden Sendenhorster Familien. Gleichzeitig ging die Verwaltung und Leitung der Stadt an ausgebildete Fachkräfte. hauptberufliche Bürgermeister über, die zusammen mit den Brennerfamilien die Schwerpunkte der städtischen Entwicklung festlegten; einer Entwicklung, die sich nicht am industriellen Wachstum orientierte.

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