Vereinsleben und Geselligkeit in Sendenhorst zwischen 1933 und 1948

Pluralität und genormte "Volksgemeinschaft" - Die letzten Märztage des Jahres 1945 brachten auch für Sendenhorst das Ende des Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft. Wie Stadt und Kirchspiel diese Zeit erlebten, darüber ist an anderer Stelle geschrieben worden (vgl. Heinrich Petzmeyer. Das Kriegsende in Sendenhorst. Geschichte einer Kleinstadt im Münsterland (1993). und Sendenhorst - Kontinuität oder Neubeginn?

Sportler zum Hitlergruß in der Mühlenkuhle - Im Hintergrund das St. Josef-Stift, davor das alte Rathaus (Wurde 1911 aus der Stadt hier an das Westtor hin umgesetzt.)

Zweifellos steht nach 50 Jahren die Erinnerung an Not und Elend des Krieges, an Zerstörung und Tod, an Vertreibung und Flucht im Vordergrund. Aber Nationalsozialismus und Krieg vernichteten oder veränderten fast alle Lebensbereiche. So wandelten sich zwischen 1933 und 1945 das soziale Leben, die gesellschaftlichen Beziehungen und Bindungen der Menschen untereinander: auf den ersten Blick weniger spektakulär, weniger einschneidend als die großen Kriegsereignisse, aber dennoch so grundlegend. dass niemand nach dem Krieg einfach wieder vor 1933 anfangen konnte. Im Folgenden soll das gesellschaftliche Leben der Stadt Sendenhorst von der Zeit der Machtübernahme bis zur Nachkriegszeit beschrieben werden.

Geselligkeit, gemeinsame Aktivitäten oder Zerstreuungen fanden fast ausschließlich in den Vereinen statt. Die Zeit vor 50, 60 Jahren unterschied sich grundlegend von unserer heutigen, durch Massenmedien geprägten Welt. Entspannung, Vergnügen. Abwechslung wurden nicht konsumgerecht serviert, sondern mussten kreativ erarbeitet werden. in Theatergruppen, Chören, in  der Nachbarschaft und Familie, vor allem aber in den Vereinen. Die Vereine hatten einen außerordentlich hohen Stellenwert im Leben der Einzelnen wie der gesamten Stadt.

In den 1930er Jahren dominierten ohne Zweifel die katholischen Vereine mit enger Bindung an die Kirche. Gesellenverein (Kolping), Arbeiterverein, Jungmännerverein, Jungfrauenverein, Verein für Frauen und Mütter, Kirchenchor. Sendenhorst hatte zwei Gesangvereine, zwei Schützenvereine, zwei Sportvereine (TU und DJK), einen Krieger und Landwehrverein, den landwirtschaftlichen Ortsverein, Ziegenzucht-, Kaninchen-, Bienenzucht - und Brieftaubenvereine, nicht zu vergessen den Heimatverein. Die Aufzählung ist nicht vollständig.

Den Nationalsozialisten passte die Vielzahl der Vereine durchaus nicht in ihr Weltbild. Pluralität hatte in der genormten Volksgemeinschaft keinen Platz. Nach und nach wurden die Vereine an die Seite gedrängt. verboten oder nach dem Führerprinzip gleichgeschaltet.

Im Sommer 1933 begann eine erste Kampagne gegen die katholischen Vereine. Eigentlich ohne erzwingenden Grund lösten sich der Sendenborster katholische Arbeiterverein und der Jungmännerverein auf. Die verbliebenen katholischen Vereine zogen sich, wie verlangt, hinter die Kirchenmauer zurück, erklären, ihr Ziel sei einzig die religiöse Erziehung oder, wie es der Frauen- und Mütterverein formulierte, die "fürsorgliche kirchenanschauliche Tätigkeit". So gelang es dem Gesellenverein - er nannte sich jetzt Deutsche Kolpingfamilie - bis zum Beginn des Krieges weiter zu bestehen. Der Allgemeine Schützenverein durfte sein letztes Vorkriegsschützenfest 1939 nur feiern, weil er sich zur "'Ausbildung von Scharfschützen" und zur "Wehrhaftmachung unseres Deutschen Vaterlandes" bereiterklärt hatte.
Die körperliche Ertüchtigung der Jugend hatte bei den Nationalsozialisten einen hohen Stellenwert. Zwar wurde die katholische DJK (Deutsche Jugendkraft) 1934 verboten, aber die Aktivitäten des Turn- und Sportvereins wurden wohlwollend gefördert. 1935 meldete der Bürgermeister: ''Das Verhältnis zwischen HJ und ihren Untergliederungen zu den Turn- und Sportverbänden kann als gut bezeichnet werden, zumal der Gefolgschaftsführer der HJ und der Führer des Jungvolks aktive Mitglieder des hiesigen Turnvereins sind. Mitglieder der konfessionellen Jugendverbünde treten in keiner Weise in Erscheinung."

Die örtlichen NS-Organisationen haben niemals den Stellenwert der traditionellen Vereine erreicht. Die Staatsjugend, Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel Jungvolk und Jungmädchen, konnten bis zum Kriegsbeginn nicht alle Sendenborster Jugendlichen erfassen. Die SA und die Ortsgruppe der NSDAP traten nur sporadisch mit eigenen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit, meist auf Weisung der Kreisleitung. Die Aufführung des Theaterstücks „Der Überläufer“ im Rahmen der Kreiskulturwoche im Mai 1939 bescherte der NS-Ortsgruppe ein beträchtliches Defizit, weil die Stadt ab einzige Gemeinde des Kreises keine Mittel in den Haushaltsplan gesetzt hatte.

Mit Kriegsbeginn September 1939 endeten alle Tätigkeiten der noch bestehenden Vereine. Viele Vereinsmitglieder waren eingezogen. An die Stelle geschlossener Veranstaltungen traten mehr und mehr von den Wirten organisierte „Tanzlustbarkeiten“ 1940 am Samstag und Sonntag zwischen 19 und 22 Uhr, 1941 ab 18 Uhr. Im Saale Werring oder Herweg führte die Gaufilmstelle wöchentlich Wochenschau, Kulturfilm und Spielfilm vor. In den letzten Kriegsjahren waren die Säle, der Ort für Veranstaltungen, von Kriegsgefangenen. ausländischen Arbeitern oder Soldaten belegt.

In den Mittagstunden des 31. März 1945 besetzten amerikanische Truppen Sendenhorst und beendeten damit den Krieg für die Bevölkerung. Unerwartet schnell normalisierten sich die Verhältnisse. Unter dem von den Amerikanern ernannten Bürgermeister Strotmann arbeitete die Verwaltung wieder. Im Laufe des Sommers wurde der Bahnverkehr eröffnet, Post und Telefonnetz kamen wieder in Gang. Das Kriegsende wurde von der Bevölkerung ab Befreiung von einer ungeheuren Last empfunden. Das Abhören ausländischer Sender wurde nicht länger mit der Todesstrafe bedroht. Schwarzschlachtungen. Schwarzbrennerei, Mogeleien bei der Ablieferung und alle die Übertretungen der strengen Kriegswirtschaftsgesetze wurden nicht länger als Sabotage des Endsieges bestraft.

Sendenhorst war auch 1945 noch die Stadt des Korns, die Branntweinstadt. Die Brennereien hatten riesige Schnappsvorräte, die wenige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner auf die Privathaushalte umverteilt wurden, damit sie nicht in die Hände des Feindes fielen. Sicherlich half diese unerwartete Sonderverteilung manchem, die Stunde NulL das Hinübergleiten in die kampflose Zeit, etwas freundlicher, rosiger zu sehen. Man sah durchaus das Leid der vielen Familien, deren Söhne oder Väter im Krieg gefallen, in Gefangenschaft oder vermisst waren. Man fühlte mit den Ausgebombten, den Vertriebenen, den Flüchtlingen. Aber über allem stand da ungeschriebene Motto „Hurra. Wir leben noch!“

Bild: Die ausgebaggerte Sandkuhle bei Woestmanns Mühle war ein beliebter Treffpunkt der Vereine. Hier: Leistungsschau des Ziegenzuchtvereins in den 1920ger Jahren

Bereits im Herbst des Jahres 1945 fanden die ersten öffentlichen Turnveranstaltungen statt. Zur gleichen Zeit wurde Sendenhorst um eine geschätzte Attraktion bereichert, im Saal Werring begann das Losto-Filmtheater (Lomberg-Storck) seine Vorführungen.
[Anm. der Red.: im Saal Werring war das Losto-Theater erst später ansässig, zuerst war das Kino im Saal Herweg, Rückseite der heutigen Volksbank Quelle: mehrere Zeitzeugen]

Zunehmend setzte sich die Bevölkerung über die Verbote und Einschränkungen der Militärregierung hinweg. Im Dezember 1945 teilte der Regierungspräsident fest: „Die Durchführung des Tanzverbotes stößt auf zunehmende Schwierigkeiten.
Im Frühjahr 1946 bemängelte die örtliche Polizei, die von der Militärregierung festgelegte nächtliche Sperrstunde werde nur mangelhaft beachtet. Die Militärregierung beanstandete, dass immer wieder Veranstaltungen ohne die notwendige Genehmigung stattfanden.

Am 6. November 1945 fand ein Klavierkonzert statt. Es war der Beginn einer Reihe von kulturell anspruchsvollen Veranstaltungen. Besonders gefördert und imitiert durch fahlreiche Münsteraner, die wegen der Zerstörung ihrer Wohnungen in Sendenhorst Unterkunft gefunden hatten. Der Kulturring Sendenhorst (Vorsitzender 1948: Oberstudiendirektor Klein, 1949: Herr Meuser) organisierte Theateraufführungen und Konzertabende von beträchtlichem Niveau. so im Januar 1949 in Verbindung mit dem dramaturgischen Institut  Düsseldorf das „Spiel von den Heiligen drei Königen“ von Felix Timmermans und, wenige Wochen später, „Des Teufels General" von Carl Zuckmayer, aufgeführt vom Neuen Westfalentheater Gütersloh.
Leider ging die kurze kulturelle Blütezeit im Strudel der Währungsreform unter. In den Wirtschaftswunderzeiten wollten oder konnten nur wenige harte DM für kulturellen Luxus ausgeben.

Die traditionellen Vereine der Vorkriegszeit nahmen im Winter 1945 ihre Tätigkeit wieder auf. Besonders die Kolpingfamilie war mit Gesangveranstaltungen geselligen Abenden und Tanzveranstaltungen sehr aktiv.

Am 13. Januar 1948 feierte die Sportgemeinschaft ihren ersten Nachkriegskarneval. Der Gesangchor des katholischen Gesellenvereins (Franz Pöttken) führte im April 1948 ein Volkskonzert auf. Die SG organisierte vom 13. bis 20. Juni 1948 eine Sportwoche mit Fußballturnier, Tischtennisturnier und abschließendem Schlussball. Zur gleichen Zeit trafen sich die Johannisbrüder zu ihrem ersten Schützenfest nach dem Kriege.

Zum Schluss soll der Wiederbeginn der Jugendarbeit kurz dargestellt werden. Nach Auflösung der katholischen Jugendverbände hatten die meisten jungen Sendenhorster der NS-Staatsjugend beitreten müssen. Die britische Besatzung legte bereits im September 1945 Pläne für die Wiederaufnahme von Jugendorganisationen vor. Auf freiwilliger Grundlage sollten sich Jugendverbände mit „religiöser, kultureller oder auf Erholung gerichteter Zielsetzung“ bilden. Allerdings: „Drill, Marschieren und besonders jene Art von straff organisierten Reiterzielen, welche die Nationalsozialisten zur Stärkung des Kampfgeistes förderten, können nicht geduldet werden“. Eine freiheitlich denkende und wirklich demokratische Führerschaft sollte herangebildet werden, „welche die ihr lebendigen Ideale von Ritterlichkeit, Ehrenhaftigkeit und Großmut weitergeben kann.“ Ohne Zweifel, hier haben boy-scout (Pfadfinder) mitgearbeitet.

Zur Jahreswende 1945/46 wurde der Turnverein unter Leitung („Förderer“) von Franz Menke und Paul Glinka mit Geräteturnen, Bodenturnen, Leichtathletik und Fußball wieder aktiv. Die katholische Jugend erfasste 170 Jungen und Mädchen in acht Gruppen. Ziele und Betätigung formulierte Pfarrer Westermann so: „Jungen und Mädchen sollen zu echten und natürlichen verantwortungsbewussten Männern und Frauen und  ganzen und gläubigen Christen gebildet werden. Die Arbeit im Gruppenheim umfasste Vorträge religiöser allgemeinbildender und beruflicher Art, Singen, Musik, Spiel und Theater; außerhalb des Heimes Wandern, Fahrten, Spiel und Sport. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Kein Jugendlicher wird aus politischen oder rassischen Gründen ausgeschlossen. Voraussetzung ist die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Es wird nicht geduldet, dass dem Ansehen  oder die Autorität der Militärregierung untergraben wird“

Die Vorstandsmitglieder der Sport- und Jugendvereine wurden Ende 1946 auf Anordnung des Kreiskommandanten Major Drummond auf ihre politische Unbedenklichkeit überprüft. Erst nach Abschluss dieses Verfahrens wurden die Vereine offiziell genehmigt (TUS am 28. April 1947, Bund der katholischen Jugend Sendenhorst am 14. November 1948). Einem Bericht über die Jugendpflegearbeit in Sendenhorst vom November 1948 entnehmen wir: „Es bestehen drei Jugendgruppen für Jungen, vier für Mädchen. Leiter der katholischen Jugend ist Vikar Dresjan. Es existiert kein Jugendpflegeausschuss. Heimatlose und herumvagabundierende Jugendliche werden individuell betreut.“

Quellen: Stadt- und Heimatarchiv Sendenhorst

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