Zeugen der Kreidezeit aus dem Kreise Beckum

Im Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Münster befinden sich als versteinerte Reste von Meerestieren der Kreidezeit die "Sendenhorster Fische". Mit besonderer Freude bringen wir den folgenden Kalenderbeitrag aus der Feder von Kustos Dozent Dr. Siegfried über diese für die Wissenschaft wie für die Heimatkunde gleich bedeutenden Funde.

Ein prachtvoll erhaltenes Exemplar stellt einen starken Raubfisch von 45 cm Länge mit großen Flossen dar, seine Kiefer sind mit langen, spitzen Zähnen bewehrt (Enchodus gracilis). Abb. 7 Raubfisch Enchodus gracilis, gefunden bei Sendenhorst. 

Im Geologisch-Paläontologischen Institut der Universität Münster befinden sich als versteinerte Reste von Meerestieren der Kreidezeit die "Sendenhorster Fische". Mit besonderer Freude bringen wir den folgenden Kalenderbeitrag aus der Feder von Kustos Dozent Dr. Siegfried über diese für die Wissenschaft wie für die Heimatkunde gleich bedeutenden Funde.
Zum heutigen Landschaftsbild des Kreises Beckum gehören seine zahlreichen Steinbrüche, die mit den Zement- und Kalkwerken der Steinindustrie in Verbindung stehen. In über 60 großen Brüchen kann man die wohl geschichteten Bänke von Mergelkalkstein mit den Zwischenlagen von grauem Mergel in großer Regelmäßigkeit viele Kilometer weit verfolgen. Sie gewähren uns einen Einblick in eine weit zurückliegende Zeit aus der Geschichte der Erde. 

Abb. 1.a: Rostrum des Belemniten Belemnitella mucronata. b: Rekonstruktion eines Belemniten-Tieres nach 0. Abel.

Im Vergleich mit dem Alter des Menschengeschlechts hat unsere Erde ein ungleich höheres Alter, das nach Hunderten von Millionen Jahren zählt. Im Laufe dieser langen Erdgeschichte wechselten auch im westfälischen Raum Zeiten ausgedehnter Meeresbedeckung mit Zeiten vorwiegenden Festlandes, wie auch Zeiten intensiver Gebirgsbildung mit Zeiten verhältnismäßiger Ruhe der Erdkruste. 

Eine Zeit weiter Meeresbedeckung war die Kreidezeit, vor rund 60 - 100 Millionen Jahren, so benannt nach dem auffallendsten Gestein, das sich damals gebildet hat, der Schreibkreide, wie sie heute noch z. B. auf der Insel Rügen anzutreffen ist. Zu den Ablagerungen der Kreidezeit zählen aber auch die Kalke und Mergel des Münstersehen Beckens, zu denen im besonderen auch das Gestein im Kreise Beckum gehört. Die Schichtung und horizontale Lagerung des Gesteins läßt uns erkennen, daß wir es hier mit Absätzen eines Meeres zu tun haben. Ein toniger, zu Zeiten auch kalkreicher Schlamm am Meeresgrunde erhärtete und wurde nach Rückzug des Meeres am Ende der Kreidezeit zum festen Gestein. Zeugen dafür, daß es sich hierbei tatsächlich um eine einstige Meeresbildung handelt, sind die im Gestein erhalten gebliebenen, versteinerten Reste von Meerestieren. Sie zeigen uns aber auch, daß im Kreidemeer eine andersartige Tierwelt vertreten war, als wir sie aus den heutigen Meeren kennen. Vielerlei Familien, Gattungen und Arten der Tiere der damaligen Zeit sind heute ausgestorben, und wir können nur aus den wenigen versteinert erhalten gebliebenen Hartteilen ihres Körpers ihr einstiges Lebensbild wiederherstellen. 

Da finden wir zunächst rund 10 cm lange, an einem Ende zugespitzte, fingerförmige Gebilde aus kristallinem Kalk, im Volksmund als "Donnerkeile" bekannt, die als Bestandteile des Körpers eines Tintenfisches zu deuten sind. Diese im allgemeinen als Belemniten bezeichneten Tiere besaßen einen langgestreckten Körper, der in einem Hautsack die inneren Organe einschließlich eines Tintenbeutels barg und an seinem Kopf sechs mit Haken besetzte Fangarme stehen hatte. Als Stützskelett lag im Inneren des Hautsacks eine kalkige Scheide, die nach hinten in einen soliden Sporn (Rostrum) ausgezogen war. Dieser Teil ist es, der meistenteils allein als Versteinerung erhalten bleibt. (Abb. 1.) Die Belemniten sind aus allen Formationen des Erdmittelalters in einer großen Anzahl verschiedenartiger Formen bekannt. Die in den Kreidekalken von Beckum vorkommende Art Belemnitella mucronata) ist kennzeichnend für die jüngeren Schichten der Oberkreide (Ober-Campan). 

Abb. 2 – oben Ammonit Hoplitoplacenticeras dolbergense, gefunden in Beckum. 

Abb. 3 – unten Muschel Inoceramus balticus, gefunden in Ennigerloh.

Andere Meeresbewohner jener Zeit, die zur gleichen Tierklasse der Kopffüßler gehören, waren die Ammoniten. Ihr in der Regel in eine enge Spirale eingerolltes Gehäuse erinnert im äußeren Bild an flache Schneckengehäuse, besteht aber aus einer Anzahl von luftgefüllten Kammern, die dem Weichtier, das die letzte Kammer bewohnte, die Möglichkeit gaben, in allen Tiefenlagen schwimmend, sich leicht in der Schwebe zu halten. Über die Weichteile der Ammoniten ist uns nichts bekannt. Wir dürfen aber annehmen, daß sie entsprechend dem ähnlich organisierten "Schiffsboot" (Nautilus), der heute noch im Indischen Ozean lebt, mit Fangarmen am Kopf und einem muskulösen Hauttrichter als Schwimmorgan aus Lebens gerüstet waren. Das erhaltungsfähige Gehäuse der Ammoniten war in vielfältiger Weise durch Rippen, Streifen oder Knoten verziert, die den Formen der einzelnen Zeitabschnitte ihr charakteristisches Gepräge gaben.
Die Ammoniten des Kreidemeeres erreichten häufig beträchtliche Größen. In den Kalken des Beckumer Raumes sind sie nicht sehr häufig vertreten, jeder Fund eines Ammoniten ist daher von besonderem Interesse. (Abb. 2.) 

Eine große Muschel (Inoceramus balticus) kennzeichnet fernerhin die Lebewelt des Meeres der jüngeren Kreidezeit. Resten ihrer Schalen kann man häufig in den Kalkplatten begegnen. Erhalten geblieben sind allerdings meist nur Abdrücke im Stein, die zarten Schalen selbst zerfallen schnell aus durch die Witterungseinflüsse. (Abb. 3.) 

Die festen Gehäuse von Seeigeln und Meeresschnecken, aber auch das zarte Gewebenetz von Schwämmen sind immer wieder im Kalkstein versteinert erhalten und beweisen uns, daß das Meer der Kreidezeit ähnliche Lebensbedingungen bot, wie man sie heute in einem flachen, küstennahen Meer vorfindet. 

Abb. 4 Heringartiger Fisch (Histiothrissa macrodactyla), gefunden bei Sendenhorst.

Jedoch nicht für alle Meerestiere waren die Erhaltungsbedingungen gleich günstig. Die  Fische, die zweifellos auch im Kreidemeer in großer Zahl verbreitet waren, fehlen dem heutigen Kreidegestein weitgehend. Nur in einzelnen Lagen finden sich kleine spitze Zähne zusammengeschwemmt, die sich dank dem festen Zahnschmelz im Gestein erhalten haben und Kunde davon geben, daß zur Kreidezeit auch mehrere Arten von Haien im Meere lebten. Und besonders günstigen Umständen ist es zu verdanken, daß wir in der Gegend von Sendenhorst in beträchtlicher Anzahl vollständige Fischskelette in bester Erhaltung im Gestein finden können.
Schon vor über hundert Jahren wurde in der Umgebung von Sendenhorst, in den Bauerschaften Bracht, Ahrenhorst und Rinkhöven, in mehreren Steinbrüchen der Kalkstein gewonnen. Hierbei kamen teils vereinzelt, teils nesterweise gehäuft Abdrücke von Fischen zutage, wie sie in den Kreideablagerungen sonst äußerst selten anzutreffen sind. Die Steinbrüche bei Sendenhorst sind heute aufgelassen, bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts aber wurden hier wie auch in den gleichen Schichten in den Baumbergen westlich von Münster zahlreiche Funde von Fischen gemacht, die uns eine gute Übersicht über die Fischfauna der Kreidezeit vermitteln. Die Mannigfaltigkeit der Formen ist groß. Da gibt es heringartige Fische mit schlankem Körper und großen Flossen, die wohl auch schon zur Kreidezeit in Schwärmen das Meer durchzogen. Abb. 4 zeigt eine Gesteinsplatte mit 1.wei wohlerhaltenen Exemplaren der Art (Histiothrissa macrodactyla). Zu den Stachelflossern gehören Fische mit hohem, gedrungenem Körper, die als langsame Schwimmer ruhige Meeresbereiche aufsuchten.

Die in Abb. 5 (links) abgebildete Art (Platycormus germanus) ist nur aus den Kreideablagerungen Westfalens bekannt. Dagegen zeigt ein anderer seltener Fund von Sendenhorst (Abb. 6 - rechts) einen kleinen, schlanken Fisch mit übermäßig verlängerten, fein bezahnten Kiefern, die einer Stoßlanze vergleichbar sind. Er ist als schneller Schwimmer und Räuber der Hochsee anzusehen (Rhinellus furcatus). Noch mehrere Raubfische sind unter den Funden von Sendenhorst vertreten. 

Abb. 5 Stachelflosser Platycormus germanus, gefunden bei Sendenhorst 

Abb. 6 Raubfisch Rhinellus furcatus, gefunden bei Sendenhorst

Ein prachtvoll erhaltenes Exemplar stellt einen starken Raubfisch von 45 cm Länge mit großen Flossen dar, seine Kiefer sind mit langen, spitzen Zähnen bewehrt (Enchodus gracilis).

Ein anderer Raubfisch, von dem nur zwei Exemplare bekannt sind, die in 
Sendenhorst gefunden wurden, hatte einen aalförmig langgestreckten Körper und einen gedrungenen Kopf mit starkem Gebiß (Palaeolycus dreginensis). 

Im Magenraum des in Abb. 8 abgebildeten Exemplars ist die Wirbelsäule eines kleinen Beutefisches erhalten geblieben, wodurch die räuberische Art seiner Lebensweise bestätigt wird. Diese Fische der Kreidezeit gehören durchweg heute nicht mehr lebenden Gattungen an. Bei ihrem Vergleich mit den heutigen Meeresfischen fällt auf, daß der größte Teil von ihnen in ihrem Körperbau und ihrer Organisation heutigen Tiefseefischen nahesteht.

Die Kalksandsteine von Sendenhorst, in denen sie gefunden wurden, sind jedoch typische Bildungen eines flachen, küstennahen Meeres. Wir müssen daher annehmen, daß die Fische einen anderen Lebensraum hatten und hier im Flachmeer nur ihren Begräbnisort fanden. Ihr seltenes Vorkommen spricht ebenfalls dafür. Man kann sich wohl vorstellen, daß die Fische durch veränderte Meeresströmungen und durch Stürme aus ihrem eigentlichem Lebensbereich in der Hochsee gerissen wurden und ins Flachmeer verschlagen wurden, wo sie zugrunde gehen mußten. Hier wurden sie dank einem schnellen Absatz von lockerem Sand- und Tonmaterial, wie er aus den Wattenmeeren bekannt ist, ohne Zerstörung auf dem Meeresgrunde eingebettet und liegen uns dadurch heute in so schöner Erhaltung im Gestein vor. In mehreren Veröffentlichungen hat W. von der Marck in den .Jahren 1858 - 1894 die Fische von Sendenhorst beschrieben. Die Originale zu den hier abgebildeten Stücken werden in den Sammlungen des Geologisch-Paläontologischen Instituts der Universität Münster aufbewahrt.

Nach oben

Ahnenforschung
Blätterwald
Fakten
Geschichte(n)
Grundwissen
H. Petzmeyer
Kornbrenner
Quellen