Das Leprosenhaus zu Sendenhorst

Pfarrer Anton Beckmann, gebürtig aus Heiden, war Pfarrer zu Sendenhorst von 1885 bis 1920. Während seiner Amtszeit entstand vor dem Nordtor der Stadt die Lazaruskapelle. Sie ist im Neo-Renaissancestil erbaut und zeigt im Innern die hohe, hehre Gestalt des hl. Rochus, des Schutzheiligen gegen Pest und andere Seuchen.

Rochus, dessen Namensfest am 16. August begangen wird, war als Geistlicher durch die Lande gezogen, um Pest- und Leprakranke zu pflegen. Sein früher Tod - er starb 1327 im Alter von 32 Jahren - steht im Zusammenhang mit seinem segensreichen Wirken. Der Schutzheilige ist mit einem treuen Begleiter, einem Hunde, dargestellt.

Zu den Füßen des hl. Rochuserblickte man früher die Jammergestalt des armen Lazarus, eine farbige Holzstatue, die wegen ihres Kunstwertes nunmehr in der Pfarrkirche St. Martin neben der nördlichen Eingangspforte Aufstellung gefunden hat. Einmal im Jahr wird die Statue anläßtich der Prozession an der Lazaruskapelle seitlich am Wege aufgestellt und dadurch auf den inn der Kapelle hingewiesen. Lazarus, im Lukas-Evangelium 16/20 beschrieben, ist der Schutzheilige der Kranken und Lazarette. Gerade die Aussätzigen fühlten sich allezeit in ihrer Hoffnungslosigkeit stark dem "armen Lazarus" verbunden. Gleich ihm erwarteten sie im Jenseils eine Belohnung für ihre schweren körperlichen und seelischen Leiden.

Ober dem Portal der Lazaruskapelle ist in einer plastischen Gruppe der biblische Samariter dargestellt, wie er den Überfallenen pflegt. Darunter steht in großen Lettern die Inschrift "Selig sind die Barmherzigen". Vor dem hl. Rochus im Innern der Kapelle steht die Sockelinschrift "Per interces sionem St. Rochi hane parochiam et dioecesim ab omni contagione Liberare et praeser digneris Domine".

Anno 1606 wurde die Stadt von der Pest heimgesucht. Die mit Geschwüren und Beulen  behafteten Pestkranken wurden wie  allerorts ausgestoßen und in das Siechenhaus verbannt. Diejenigen Menschen, bei denen einmal der Aussalz festgestellt worden  war, mußten bis zu ihrem Tode in dem  Leprasenhaus bleiben. Die Aussätzigen lebten  von mildtätigen Stiftungen.  In Sendenhorst stand das Siechenhaus, das  nachweislich im Jahre 1661 einen einzigen  Insassen aufwies, vor der Westpforte. Wie in anderen Orten, in denen Leprahäuser standen, ist auch in Sendenhorst später das Leprosenhaus abgcbrochen worden. Zur Erinnerung an das Siechenhaus ist in  Sendcnhorst die Lazaruskapelle entstanden  und bis heute erhalten geblieben.  Die Lazaruskapelle bewahrt bis heule die Erinnerung an das alle Leprosenhaus.

Der Letzte im Leprosenhaus

Man schrieb das Jahr 1661. Christine  Silkes, die Haushälterin des Pastors, öffnete  die Tür des Pfarrhauses nur einen kleinen Spalt. Sie wollte sehen, wer schon zu dieser frühen Morgenstunde die Türglocke des Pastorats so stark gezogen hatte, daß alle Bewohner des Pfarrhauses vor Schreck aufgewacht  waren. Christine Silkes fragte, wer draußen wäre, und was er begehre. Leise und mit brüchiger Stimme kam die Antwort: "Ne milde Garff fö'n Kranken! Henrikus Dillekalt heet ick. Ick wör int Leprosenhus in de Neigt von Düörpm. Leßte Wiärk is dat  Hus affbrannt. Iek häff nu kin Unnerkuomen  mäh un mott doch liäben!" Auf die  Frage, warum er denn ausgerechnet nach  Sendenhorst komme, antwortete der an  Händen und im Gesicht vom Aussatz gekennzeichnete  und sich auf einem Krückstock vor dem Pfarrhaus stützende alte Mann: "Ick was gislern in de Stevertske Mark, doa häbt'se mi säggt: Gaoh nao Sennhuorst! Dao steiht siet de Pestjoahrn dat Leprosenhus lierig. At ligg vö de Westpoahrt!  Froagt Juhen Pastor, off ick in dat Siechenbus intriäcken daff!" Christine Silkes drehte sich ratsuchend um. 

Der Pastor - bereits in Soutane - stand schon hinter ihr. Er hatte jedes Wort des Fremdlings vernommen. Rasch öffnete er die Tür, trat ins Freie und sprach längere Zeit mit dem an Leprose (Aussatz) erkrankten  Henrikus Dillekatt. Dann sah die Haushälterin, daß der Fremdling sein Bündel aufnahm und langsam auf das Westtor zuschritt. 

Anderntags schauten Bauern und Tagelöhner,  die am Westtor vorbeikamen, verwundert zu dem kleinen Fachwerkbau hin, der auf einer kleinen Anhöhe auf der Geist lag. Weißer Qualm stieg aus dem Kamin in die helle Winterluft Philipp Torstel, der Totengräber, mußte fortan für den einzigen  Bewohner des Leprasenhauses am  Westtor sorgen. Doch er hatte nicht viel damit  zu schaffen. 

Der Pastor kannte seine Gemeinde. In der ersten Zeit wollten alle Einwohner dem "Leprosenkerl", wie Henrikus Dillekalt  ohne sein Wissen im Volksmund genannt  wurde, Essen bringen. Das Haus war allen unheimlich. Die Umgebung wurde gemieden. Selbst Kinder und  Hunde schienen stets einen Umweg um das Haus zu wählen. Zuweilen hörte man Henrikus Dillekatt alte Landsknechtslieder gröhlen; das war meist der Fall, wenn ihm ein W obigesinnter einen Schoppen Branntwein  oder einen Krug mit selbst- gebrautem Bier auf den Mühlstein gestellt hatte. So gingen fünf lange, einsame Jahre ins  Land ... 

Man feierte den Jahreswechsel 1666/67, nicht laut und übermütig, denn die Erinnerung  an den Dreißigjährigen Krieg war  noch nicht geschwunden. Niemand dachte  an den "Leprosenkerl".  Am Neujahrstag 1667 erhielt Philipp Torslei die Nachricht, daß mit Henrikus Dillekalt  etwas nicht in Ordnung wäre. Aus dem  Kamin des Siechenhauses steige kein Rauch  auf, und alle Fensterläden seien dicht geschlossen. 

Die Leute hatten recht: Henrikus Dillekalt  hatte ausgelitten. Genau so früh am Tag wie Dillekatt vor  einigen Jahren nach Sendenhorst gekommen war, verrichtete Philipp Torstel an  dem "Leprosenkerl" das letzte Werk der Barmherzigkeit. Er begrub ihn in aller  Stille auf dem Kirchhof, abseits, ganz einsam  in der Ecke im Schatten einer Rotbuche.  Nur der Pastor war anwesend. 

* Nach alten Aufzeichnungen hatte Sendenhorst in den Jahren um 1661 einen einzigen Insassen  in dem Leprosenhaus am Westtor.

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