Das Leprosenhaus zu Sendenhorst
Rochus, dessen Namensfest am 16. August begangen wird, war als Geistlicher durch die Lande gezogen, um Pest- und Leprakranke zu pflegen. Sein früher Tod - er starb 1327 im Alter von 32 Jahren - steht im Zusammenhang mit seinem segensreichen Wirken. Der Schutzheilige ist mit einem treuen Begleiter, einem Hunde, dargestellt.
Zu den Füßen des hl. Rochuserblickte man früher die Jammergestalt des armen Lazarus, eine farbige Holzstatue, die wegen ihres Kunstwertes nunmehr in der Pfarrkirche St. Martin neben der nördlichen Eingangspforte Aufstellung gefunden hat. Einmal im Jahr wird die Statue anläßtich der Prozession an der Lazaruskapelle seitlich am Wege aufgestellt und dadurch auf den inn der Kapelle hingewiesen. Lazarus, im Lukas-Evangelium 16/20 beschrieben, ist der Schutzheilige der Kranken und Lazarette. Gerade die Aussätzigen fühlten sich allezeit in ihrer Hoffnungslosigkeit stark dem "armen Lazarus" verbunden. Gleich ihm erwarteten sie im Jenseils eine Belohnung für ihre schweren körperlichen und seelischen Leiden.
Ober dem Portal der Lazaruskapelle ist in einer plastischen Gruppe der biblische Samariter dargestellt, wie er den Überfallenen pflegt. Darunter steht in großen Lettern die Inschrift "Selig sind die Barmherzigen". Vor dem hl. Rochus im Innern der Kapelle steht die Sockelinschrift "Per interces sionem St. Rochi hane parochiam et dioecesim ab omni contagione Liberare et praeser digneris Domine".
Anno 1606 wurde die Stadt von der Pest heimgesucht. Die mit Geschwüren und Beulen behafteten Pestkranken wurden wie allerorts ausgestoßen und in das Siechenhaus verbannt. Diejenigen Menschen, bei denen einmal der Aussalz festgestellt worden war, mußten bis zu ihrem Tode in dem Leprasenhaus bleiben. Die Aussätzigen lebten von mildtätigen Stiftungen. In Sendenhorst stand das Siechenhaus, das nachweislich im Jahre 1661 einen einzigen Insassen aufwies, vor der Westpforte. Wie in anderen Orten, in denen Leprahäuser standen, ist auch in Sendenhorst später das Leprosenhaus abgcbrochen worden. Zur Erinnerung an das Siechenhaus ist in Sendcnhorst die Lazaruskapelle entstanden und bis heute erhalten geblieben. Die Lazaruskapelle bewahrt bis heule die Erinnerung an das alle Leprosenhaus.
Der Letzte im Leprosenhaus
Man schrieb das Jahr 1661. Christine Silkes, die Haushälterin des Pastors, öffnete die Tür des Pfarrhauses nur einen kleinen Spalt. Sie wollte sehen, wer schon zu dieser frühen Morgenstunde die Türglocke des Pastorats so stark gezogen hatte, daß alle Bewohner des Pfarrhauses vor Schreck aufgewacht waren. Christine Silkes fragte, wer draußen wäre, und was er begehre. Leise und mit brüchiger Stimme kam die Antwort: "Ne milde Garff fö'n Kranken! Henrikus Dillekalt heet ick. Ick wör int Leprosenhus in de Neigt von Düörpm. Leßte Wiärk is dat Hus affbrannt. Iek häff nu kin Unnerkuomen mäh un mott doch liäben!" Auf die Frage, warum er denn ausgerechnet nach Sendenhorst komme, antwortete der an Händen und im Gesicht vom Aussatz gekennzeichnete und sich auf einem Krückstock vor dem Pfarrhaus stützende alte Mann: "Ick was gislern in de Stevertske Mark, doa häbt'se mi säggt: Gaoh nao Sennhuorst! Dao steiht siet de Pestjoahrn dat Leprosenhus lierig. At ligg vö de Westpoahrt! Froagt Juhen Pastor, off ick in dat Siechenbus intriäcken daff!" Christine Silkes drehte sich ratsuchend um.
Der Pastor - bereits in Soutane - stand schon hinter ihr. Er hatte jedes Wort des Fremdlings vernommen. Rasch öffnete er die Tür, trat ins Freie und sprach längere Zeit mit dem an Leprose (Aussatz) erkrankten Henrikus Dillekatt. Dann sah die Haushälterin, daß der Fremdling sein Bündel aufnahm und langsam auf das Westtor zuschritt.
Anderntags schauten Bauern und Tagelöhner, die am Westtor vorbeikamen, verwundert zu dem kleinen Fachwerkbau hin, der auf einer kleinen Anhöhe auf der Geist lag. Weißer Qualm stieg aus dem Kamin in die helle Winterluft Philipp Torstel, der Totengräber, mußte fortan für den einzigen Bewohner des Leprasenhauses am Westtor sorgen. Doch er hatte nicht viel damit zu schaffen.
Der Pastor kannte seine Gemeinde. In der ersten Zeit wollten alle Einwohner dem "Leprosenkerl", wie Henrikus Dillekalt ohne sein Wissen im Volksmund genannt wurde, Essen bringen. Das Haus war allen unheimlich. Die Umgebung wurde gemieden. Selbst Kinder und Hunde schienen stets einen Umweg um das Haus zu wählen. Zuweilen hörte man Henrikus Dillekatt alte Landsknechtslieder gröhlen; das war meist der Fall, wenn ihm ein W obigesinnter einen Schoppen Branntwein oder einen Krug mit selbst- gebrautem Bier auf den Mühlstein gestellt hatte. So gingen fünf lange, einsame Jahre ins Land ...
Man feierte den Jahreswechsel 1666/67, nicht laut und übermütig, denn die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg war noch nicht geschwunden. Niemand dachte an den "Leprosenkerl". Am Neujahrstag 1667 erhielt Philipp Torslei die Nachricht, daß mit Henrikus Dillekalt etwas nicht in Ordnung wäre. Aus dem Kamin des Siechenhauses steige kein Rauch auf, und alle Fensterläden seien dicht geschlossen.
Die Leute hatten recht: Henrikus Dillekalt hatte ausgelitten. Genau so früh am Tag wie Dillekatt vor einigen Jahren nach Sendenhorst gekommen war, verrichtete Philipp Torstel an dem "Leprosenkerl" das letzte Werk der Barmherzigkeit. Er begrub ihn in aller Stille auf dem Kirchhof, abseits, ganz einsam in der Ecke im Schatten einer Rotbuche. Nur der Pastor war anwesend.
* Nach alten Aufzeichnungen hatte Sendenhorst in den Jahren um 1661 einen einzigen Insassen in dem Leprosenhaus am Westtor.