SENDENHORST - Bürgermeister Bernhard Joseph Langen - Im Dienst Napoleons und der Preußen

Als die Stadt Sendenhorst in den 60er Jahren im Südosten neue Wohngebiete erschloß, benannte sie zwei Nebenstraßen des alten Prozessionswegs nach Sendenherster Persönlichkeiten der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts: nach Ffarrer Darup und Bürgermeister Langen. Während Pfarrer Darup als Verfasser mehrerer theologischer Werke, als Ehrendechant und Träger des preußischen Adlerordens, nicht zuletzt als Erbauer des stattlichen Pastoratgebäudes am Kirchplatz Sendenhorst in Erinnerung geblieben ist, ist Bürgermeister Langen, auch in der heimatgeschichtlichen Literatur, wenig bekannt.

Haus Nordstraße 3, 1806 von Langen errichtet

Es gibt keine Biographie, keinen Lebenslauf oder Nachruf, nichts Zusammenhängendes. Deshalb soll versucht werden, aus den überlieferten Quellen, Akten, Kirchenbüchern, Amtsblättern, die Lebensgeschichte dieses bemerkenswerten Mannes aufzuzeichnen. Es entsteht das Bild einer begabten, klugen, tatkräftigen, aber auch ehrgeizigen, intriganten und habsüchtigen Persönlichkeit, aufgestiegen in den Ausnahmeverhältnissen der napoleonischen Aera, in der anschließenden Ze.it der preußischen Reaktion ausgeschaltet und auf seinen privaten Wirkungsbereich abgedrängt.

Im Jahre 1776 übernahm der Vater, Gottfried Ferdinand Langen (auch Lange) das Amt eines » Judicii scriba«, eines Gerichtsschreibers in Sendenhorst. Der Posten war mit wenig Arbeit verbunden und galt als sichere, wenn auch nicht üppige Einnahmequelle. Langen stammte wohl aus Münster und heiratete dort Catharina Magdalena Schmedding. Er starb ein halbes Jahr vor der Geburt seines einzigen Sohnes Bernhard Joseph Langen, der in der Sendenherster Kirche am 9. September 1781 getauft wurde. Die Mutter scheint mit ihrem Sohn für die folgenden Jahre nach Münster gezogen zu sein. Bernhard Joseph besuchte das Gymnasium bis mr 3. Klasse und ging dann, 18jährig, auf die Gerichtsstube des Hof~ erichts zu Aktuar Rengeling, »Um die Gerichtsschreiberei zu lernen«. 
Mit großer Energie und Geschicklichkeit bereitete die junge Witwe Langen ihren Sohn auf die Laufbahn seines Vaters vor. Sie muß gute Beziehungen zum fürstbischöflichen Hof gehabt haben, denn es gelang ihr, die Gerichtsschreiberstelle bis zum Amtsantritt ihres Sohnes 1799 freizuhalten und  durch einen Substituten, einen Stellvertreter, verwalten zu lassen. Noch keine 20 Jahre alt, wird Bernhard Joseph Langen Schreiber des Sendenborster Gerichts. 22jährig, im Jahre 1803, ist er bereits einer der beiden Sendenborster Bürgermeister. 1804 übertragen die Preußen dem talentvollen jungen Mann das Amt eines Kirchspiel-Rezeptors, eines Steuereinnehmers.

Neben seiner Verwaltungstätigkeit fand Langen noch Zeit für einen umfangreichen, einträglichen Detailhandel. Mit 1300 Rthlr. Jahresumsatz übertraf er im Jahre 1803 die übrigen Kaufleute der Stadt um mehr als das Doppelte. Auch als »Brantweinzäpfer« versuchte er sich. In den folgenden Jahren hat er ein sicheres Gespür für profitable Geschäfte. 1804 gehört er zu den sechs Pächtern des stadteigenen Weidekamps »Garrath«. 1807 errichtet er eine Windmühle vor dem Osttor, die er kurze Zeit später weiterveräußert. Gelegentlich geraten seine Geschäfte an den Rand der Legalität. 1805 scheut er sich nicht, ohne landesherrliche Erlaubnis geschlagene Eichenbäume von der Witwe Sommerseil zu einem Spottpreis zu kaufen, angeblich, weil die arme Frau ihre Steuern nicht zahlen konnte. Langen kam nur mit Not an einer Anklage vor dem Stadtgericht vorbei.

Die nächsten Aktivitäten Langen brachten ihm eine ordentliche Vergütung, der Allgemeinheit großen Nutzen. Langen verfaßte eine Denkschrift über den Nutzen der Aufteilung der gemeinsam genutzten Weideflächen, der Gemeinheiten. Der Landrat des Kreises Warendorf war von den Überlegungen so angetan, daß er bereit war, Lange als Ökonomie-Kommissar für die Gemeinheitsteilungen anzustellen, »Wenn wir versichert wären, daß er die erforderlichen Kenntnisse besitzt«. Langen lieferte eine Probearbeit und leitete

1805 die Teilung der Gemeinheiten Hemmerholt, Waterfohr und Wortholt in der Bauerschaft Bracht ein. In den Jahren 1809 bis 1811 bereitete Langen die Privatisierung der gemeinsamen Weiden in den Bauerschatten Sandfort, Ebnenhorst und Rinkhöven vor.

Nach dem verheerenden Stadtbrand von 1806 errichtete Langen am Eingang der Sendenborster Nordstraße ein repräsentatives zweigeschossiges Wohngebäude in Traufenstellung mit massiver, klassizistischer Fassade. Die stilistische Verwandtschaft zum nahegelegenen Pastorat ist unverkennbar. Bis 1980 war die Post in diesem Haus untergebracht. Bernhard Joseph Langens große Stunde schlug während der Herrschaft der Franzosen. Durch seine Eingaben zu Gemeinheitsteilungen, durch verschiedene andere Verbesserungsvorschläge war er den landrätlichen Behörden geschätzt und bekannt geworden. Er bemühte sich, seinen Diensteifer und seine Staatstreue weiter unter Beweis zu stellen. Als Napoleon, um Englands Handel mit dem Festland zu blockieren, die »Kontinentalsperre« verhängt hatte und der Handel mit englischen Waren untersagt  wurde, ließ Langen bei den Fremden in sämtlichen Gasthäusern Sendenhorsts nach englischen Tuchen fahnden. Das Ergebnis war dürftig und zweifelhaft. Bei den französischen Behörden wurde Langes Diensteifer jedoch wohlwollend registriert. 

So wundert es nicht, daß Landrat Ketteler auf Harkotten, als 1808 in den Gemeinden des neu geschaffenen Großherzogtums Berg Munizipal Gemeinderäte zu benennen waren, dem offiziellen Vorschlag des Sendenhorster Magistrats mißtraute und diskret bei Langen Erkundigungen einzog. Das Urteil Langens war drastisch und eindeutig: »Wie aber der Magistrat zu diesem Vorschlag gekommen und was ihn dazu bewogen begreife ich nicht. Vier der fünf Vorgeschlagenen sind in der Stadt und Kirchspiel ständige Säufer, und wenn sie sich besoffen haben, welches leider fast bei jeder Gelegenheit vorkommt, so sind sie auch Ruhestörer . .. « Es versteht sich, daß die Behörden Munizipalräte ernannten, die Langens Zustimmung fanden. Langens Urteil macht sein Verhältnis zur bodenständigen Sendenborster Bevölkerung, insbesondere zu den wohlhabenderen Führungsschichten deutlich. Man ging sich aus dem Wege, hatte ein distanziertes Verhältnis. Alle öffentlich tätigen Leute der Franzosenzeit, die Marmett, Kock, Drees und nicht zuletzt Langen waren Zugezogene, meist Münsteraner. 

Dezember 1810 gliederte Napoleon Nordwestdeutschland einschließlich Münster dem französichen Kaiserreich ein. Die beim Großherzogtum Berg verbleibenden Gemeinden Sendenhorst Stadt und Kirchspiel, Rinkerode, Albersloh, Amelsbüren und Everswinkel wurden unter Langens Leitung  zum Kanton Sendenhorst zusammengeiaßt Mit 29 Jahren hatte Langen den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht. Als Kantonsbürgermeister tat er in kurzer Zeit viel für seine Stadt. Der Wiederaufbau der Stadt nach dem verheerenden Brand von 1806 mit erbreiterten Straßen, zurückgelegten Fluchtlinien und der Verlegung von Häusern machte rasche Fortschritte. Sendenhorst erhielt eine Straßenbeleuchtung, Straßen wurden gepflastert, östlich der Kirche ein Haus angekauft und zum Rathaus umgebaut. Die Gewerbefreiheit zog spezielle Berufe wie einen Apotheker, einen Doktor der Medizin und einen Goldschmied in die Stadt. Bürgermeister Langen und mit ihm die Mehrheit der Sendenborster Bevölkerung fühlten sich wohl unter französischer Herrschaft. Es ist sicherlich mehr als taktische Anpassung, wenn die Johannisbrüder noch im  Sommer 1813, wenige Monate vor Rückkehr der Preußen, Napoleon als ihren großen Herrscher huldigen. Das veranlaßte Maire Langen zu der Antwort: »Die edelen Gesinnungen, welche die Johannisbruderschaft gegen den allergrößten Monarchen von Europa, unsern Beschützer, durch ihre Vorstellung vom 18ten des Monats an Tag gelegt haben, sind von der Art . . . daß ich auch höheren Orts den Patriotismus der Sendenborster Johannisbrüder an den Tag lege.« Allen späteren preußischen Geschichtsumdeutungen zum Trotz, man war in Sendenhorst pro-französisch! Die Nachteile der häufigen Truppenaushebungen und Kontributionen wurden durch die wirtschaftlichen Vorteile des neuen Systems mehr als wettgemacht. 

Im November 1813 waren die Preußen wieder da. Langen wird nicht gerade begeistert gewesen sein, aber als loyaler Verwaltungsbeamter fungierte er zunächst weiterhin im Amte, dieses Mal im Namen König Friedrich Wilhelm III. Er befehligte 1814/1815 als Unterbezirks-Kommandant den Landsturm, den preußischen Versuch einer allgemeinen Volkserhebung. Er blieb Bürgermeister des Kantons Sendenhorst Aber in den Überlegungen zur Verwaltungseinteilung war Sendenhorst nicht vorgesehen.

Der Kreissitz kam nach Beckum, das Amt verwaltete Bürgermeister Brüning, ein entschiedener Gegner Langens, von seinem Hof in Enniger aus. Zum  1. Oktober 1817 wurde das Stadt- und Landgericht Sendenhorst aufgelöst, sein Gerichtsbezirk Ahlen und Oelde zugeschlagen. Obwohl Langen als Aktuar (Gerichtsschreiber) beim Gericht Ahlen arbeitete, behielt er das Amt des Sendenhorster Bürgermeisters noch drei Jahre bis 1820 bei. Dann verlegte er seinen Wohnort nach Ahlen. Die staatliche Verwaltung hatte für ihn keine Verwendung mehr. Umsomehr betrieb Langen seine privaten Interessen, insbesondere den Erwerb von Grundstücken und Gütern. Unter vorteilhaften Bedingungen erwarb er die Höfe Lütke-Düveler und Pocke auf der Sendenhorster Hardt und Lenferding im  Kirchspiel Altahlen. Bis 1850 hatte er 101 Morgen in der Stadt und Feldmark Ahlen und 38 Morgen in der Gemeinde Altahlen an sich gebracht. Der Reinertrag der Ahlener Liegenschaften übertraf mit 400 Talern selbst die großen Höfe. Langen gehört zu den ersten Mitgliedern des Landwirtschaftlichen Provinzial -Vereins für Westfalen und Lippe. Die Anwesenheitslisten der ersten Versammlungen weisen seinen Namen aus.
1834 zeigt er seine Verbundenheit mit den Sendenhorstern. Die Johannisbrüder erhalten eine Erinnerungsmedaille: Den Schützen der Johannisbruderschaft zu Sendenhorst von ihrem früheren Bürgermeister Actuar Langen als König gewidmet. Langen hielt sich beinahe 30 Jahre aus aller Politik heraus. Die Preußen mochten den ehemaligen Verehrer Napoleons und Anhänger der  Franzosen nicht. Die preußische Verwaltung hatte ihn kaltgestellt.

Dann kam das Revolutionsjahr 1848. Für eine kurze Zeit wurden die etablierten Kräfte an die Seite gedrängt, die Reformer, die Gegner des Bestehenden nahmen das Ruder in die Hand. Mit dem Beginn der Februar-Revolution 1848 ist Bernhard Joseph Langen plötzlich wieder aktiv. In der Rückschau des Landrats stellte sich das so dar: »namentlich hat der in den Wirren des Jahres 1848 zum Stadtverordneten-Vorsteher sich emporgeschwungene ehemalige Aktuar Langen durch sein rabulistisches Unwesen sehr schädlich eingewirkt.« Langen war zu diesem Zeitpunkt 66 Jahre. Es war an der Zeit, sich endgültig aus Beruf und Politik zurückzuziehen. Das Gericht Ahlen schickte seinen Aktuar in Pension.

Er starb am 14. Dezember 1850 im Hause seiner Tochter zu Duisburg, wohin er wenige Wochen vorher übergesiedelt war. In seinen Testament übertrug er seiner Tochter Antoinette Clara Langen, verheiratet mit dem Duisburger Kleinhändler Albert Jansen, sein gesamtes Vermögen, Schätzwert 9.000 Rthlr. Das Ehepaar Jansen wurde verpflichtet, für die Erziehung, geistige Ausbildung und Heranbildung zu tüchtigen Menschen der sechs minderjährigen Kinder Langens (Joseph, Hermann, Ludwig, Leo, Friedrich und Cornelia) zu sorgen. Nach Langens Tod wurde der Verkauf seiner Immobilien in und um Sendenhorst und Ahlen energisch und in Eile betrieben, u. a. um die Schulden Langens zu bezahlen. Damit war auch jede materielle Erinnerung an Bernhard Joseph Langen, fürstbischöflich münsterscher Gerichtsschreiber, großherzoglich bergischer Maire des Kantons Sendenhorst, preußischer Aktuar des Gerichts  Ahlen, erloschen Quellen: Katholisches Pfarrarchiv Sendenhorst, Ki rchenbücher, Stadta rchiv Sendenh orst, Archiv Haus Stapel, Frei herr vo n Heeremansches Archi v, Surenburg, Staatsarchiv Münster: Erbfürstentum Münster, Kreise, Kriegs- und Domänenkammer Münster, Spezialorganisation, Großherzogtum Berg, Oberpräsidium Münster, Amt für Agrarordnu ng, Familienurkunden Brechtenkamp, Sendenhorst 

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