Bürgermeister schwärzt Arzt an
Die Geschichte beginnt bedauerlicherweise nicht am 1. April, sondern erst am 11. des vierten Monats im Jahre 1900. Dem Sendenhorster Bürgermeister Wilhelm Hetkamp kommt zu Ohren, dass im St- Josef-Stift ein Kind tot geboren und auf dem hiesigen Friedhof beerdigt worden ist. Die vermeintlich pflichtgemäße Meldung beim Standesamt sei aber unterblieben.
Hetkamp nimmt sich sogleich mit dem ihm eigenen großen Eifer der Sache an und lädt zunächst den behandelnden Arzt, Dr. Geiping, vor. Doch dieser verweigert mit dem Hinweis auf seine Schweigepflicht die Aussage.
Hetkamp wendet sich an den Regierungspräsidenten in Münster mit der Bitte um Aufklärung. Dieser antwortet, dass es ausschließlich Pflicht der Vorsteherin des Krankenhauses - Oberin war damals die Mauritzer Franziskanerin Schwester Edeltrudis -, eine solche Geburt zu melden. Tue sie das nicht, drohe eine Strafe. Die Sache sei daher unverzüglich bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige zu bringen. In dem Strafverfahren werde sich dann auch Gelegenheit finden, Dr. Geiping zur Aussage zu zwingen.
Geiping sagt aus, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft eine Strafe angedroht hatte. Er erklärt auch, dass er der Oberin ausdrücklich gesagt habe, dass eine Anzeigepflicht im vorliegenden Fall nicht bestehe, weil das Kind sehr früh geboren sei. Dass der Bürgermeister ihn so bedränge, habe damit zu tun, dass Hetkamp seit Jahren mit ihm verfeindet sei.
Eigentlich hätte der Fall schon damit zu den Akten gelegt werden können. Doch wenn die Mühlen der Staatsanwaltschaft schon mal mahlen, sind sie kaum noch zu stoppen, auch wenn das gegen juristische Gepflogenheiten verstößt. Sie gibt dem Amtsanwalt in Ahlen umgehend den Auftrag, Anklage gegen die Oberin zu erheben.
Der Prozess gegen die Oberin vor dem Schöffengericht in Ahlen wird daraufhin für den 5. Juli 1900 angesetzt. Der Eifer der Beamten ist aber damit nicht zu bremsen. Denn auch der Regierungspräsident in Münster stellt Strafantrag, diesmal gegen Dr. Geiping wegen „Beleidigung des Sendenhorster Bürgermeisters in Beziehung auf seinen Beruf“. Dieser Strafantrag wird bei der Staatsanwaltschaft in Münster eingereicht. Grund für die Anklage ist die Aussage des Arztes, er habe die Vorladung des Bürgermeisters für reine Schikane angesehen.
Doch zunächst wird gegen die Oberin verhandelt. Der Amtsrichter in Ahlen kennt nun zwar die Rechtslage auch nicht, doch das gesteht er sich wenigstens ein. Er bittet daher den Amtsarzt Dr. Heynes in Beckum um Auskunft. Dessen sehr ausführliche Rückmeldung ergibt: Die fragliche Totgeburt musste dem Standesamt nicht gemeldet werden, weil sie in ihrer Entwicklung nicht weit genug fortgeschritten war und auch tatsächlich tot geboren wurde.
Ein preußischer Beamter galt in der Praxis damals als unfehlbar. Doch in dieser Geschichte zeigen sich bis zu diesem Zeitpunkt nur Ärzte über das einschlägige Recht genau informiert. Der Amtsrichter in Ahlen stellte daraufhin das Verfahren ein.
Die Anklage gegen Dr. Geiping lag beim ersten Staatsanwalt in Münster, der die Angelegenheit sorgfältig prüfte. Sein Ergebnis: nur heiße Luft. Das kann er natürlich nicht sagen, schon gar nicht seinem Chef. Daher sendet er mit dem „ergebensten Bemerken“ die Anklage an den Regierungspräsidenten zurück, da er zu seinem „Bedauern nicht in der Lage sei, dem Strafantrag zu entsprechen“.
Er stellt fest, dass Dr. Geiping die fragliche Äußerung als Zeuge zur Begründung seiner früheren Aussageverweigerung und zudem in sachlicher Form gemacht habe. Die Absicht, den Bürgermeister zu beleidigen, sei daher nicht zu erkennen. Somit sei die Anklageerhebung nicht möglich, weil eine Verurteilung von vornherein ausgeschlossen erscheine.
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