Stadt profitierte von französischen Reformgesetzen

Sendenhorst: Mit der fünften und letzten Folge „Aus der Geschichte Sendenhorsts“ geht heute die Veranstaltungsreihe des Bildungswerkes zu Ende. Heinrich Petzmeyer wird zum Abschluß über den Zeitraum von der Dreifelderwirtschaft bis zur Flurbereinigung sprechen und damit einen Abriß der Geschichte der heimischen Landwirtschaft geben. Am vierten Abend hatte Heinrich Petzmeyer die „Franzosenzeit“ zum Inhalt seins Vortrags gewählt.

Selten erlebte das Münsterland so wechselvolle und aufregende Zeiten wie in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Napoleon, der sich bald Kaiser der Franzosen nennen sollte, rückte bis an den Rhein vor, verdrängte die Preußen aus ihren Besitzungen jenseits des Rheins und veranlaßte die Entschädigung durch Übertragung des Fürstbistums Münster. Im August 1802, ein Jahr bevor der „Reichsdeputationshauptschluß“ die Gebietsübertragung offiziell absegnete, besetzten preußische Truppen das Münsterland. Tausend Jahre geistlicher Herrschaft gingen zu Ende.

Die Preußen galten als tüchtig, gründlich und korrekt. Gewissenhaft versuchten sie, die neuen Gebiete optimal zu verwalten. Eine Kommission bereiste den späteren Kreis Beckum und erstelle ein Gutachten über die Wirtschaftskraft der einzelnen Städte und Gemeinden. Danach hatte der Ackerbau für die Stadt Sendenhorst keine sehr große Bedeutung. Die Stadtfeldmark war viel zu klein. Die meisten bewirtschafteten Ländereien waren gepachtet. Die Handwerker arbeiteten nur für den Bedarf von Stadt und Kirchspiel. Auch die drei Branntweinbrenner (wahrscheinlich Beumer-Everke, Böcker und Schulze Tergeist) produzierten nur für den örtlichen Bedarf. Geringe Mengen wurden nach Münster ausgeführt. Anders stand es mit dem Haupterwerbszweig der Sendenhorster, der Leineweberei. Beinahe jede dritte Familie beschäftigte sich mit dem Spinnen und Weben von Leinen. 55 hauptberufliche Weber verkauften ihre Produkte an den Warendorfer Großhandel. Einige Bürger – so der Bericht – kauften im Frühjahr mageres Vieh auf, weideten es auf gepachteten Kämpen und trieben die fetten Tiere im Herbst auf die Märkte im Osnabrückschen.

Die Preußen duldeten keine private oder ausländische Konkurrenz. Das galt besonders für das Postwesen, das seit 1742 von der Kaiserlichen Thurn- und Taxischen Posthalterei Bonse am Südtor besorgt wurde. Unter dem vergeblichen Protest Gerhard Henrich Bonses wurde am 7. Mai 1803 das kaiserliche Postschild heruntergenommen und zum Rathaus gebracht.

Ende April 1806 erlebte Sendenhorst den verheerendsten Brand seiner Geschichte. In wenigen Stunden brennen 154 Privatgebäude nieder, dazu sämtliche öffentlichen Gebäude wie Kirche, Pastorat, Schulen, Rathaus usw. Obwohl man seit einigen Jahrzehnten eine Brandversicherung kennt, verbleibt ein ungedeckter Schaden von 67.526 Taler.

Eine preußische Baukommission sorgt dafür, daß die Straßen beim Wiederaufbau verbreitert werden, daß die Misthaufen vor den Türen verschwinden und daß die Häuser östlich und südlich des Kirchplatzes an anderer Stelle wiedererrichtet werden. Nord- und Südstraße werden durch eine Straße verbunden; die Neustraße (auch Remisenstraße und im tausendjährigen Reich Adolf-Hitler-Straße) entsteht. Aus dem Wolbecker Tiergarten weist die Kommission 260 Bäume zum Wiederaufbau der Fachwerkhäuser an. Ein Teil des Bauholzes wird kostenlos, der andere Teil verbilligt abgegeben. Der König von Preußen sagt 10 000 Taler aus außerordentlichen Mitteln zu. Die Hälfte der Gelder wird jedoch erst 1817 angewiesen, der Rest noch 1842 angemahnt. Da man aber inzwischen soviel Besitzänderungen erlebt hatte, sah man sich nicht mehr in der Lage, das Geld anteilmäßig unter den Brandgeschädigten zu verteilen. Der Stadtrat beschloß, die Mittel dem Kirchbaufonds zu überweisen.

Nur wenige Wochen nach der Brandkatastrophe werden die Preußen von Napoleon besiegt und aus den Gebieten westlich der Elbe vertrieben. Große Teile des heutigen Nordrhein-Westfalens werden von Napoleon zum Großherzogtum Berg, Landeshauptstadt Düsseldorf, zusammengefaßt. Für Sendenhorst gilt folgende Verwaltungseinteilung: Departement Ruhr, Arrondissement Hamm, Kanton Ahlen (ab 1811 Sendenhorst) und Mairie Sendenhorst. Die Sendenhorster Verwaltung, an der Spitze Bürgermeister Langen (nach dem die Stadt vor einigen Jahren die Langenstraße benannte) war offensichtlich pro-französisch eingestellt. Die Stadt profitierte von den französischen Reformgesetzten, der Gewerbefreiheit, der Bauernbefreiung, der Verbesserung des Zivilrechts. Als Verwaltungsmittelpunkt für Albersloh, Amelsbüren und Everswinkel erlebte die Stadt bis zur Rückkehr der Preußen eine gewisse Blüte.

Als Napoleons Armee im Winter 1812/13 auf den Eisfeldern Rußlands zugrunde gegangen war, waren die Tage französischer Herrschaft im Münsterland gezählt. Zwar hatte Bürgermeister Langen im Sommer 1813 Napoleon noch als den „allergrößten Monarchen, unseren Beschützer“ gefeiert, wenige Monate später schon war die Franzosenzeit vorbei. Als Vorhut preußischer Truppen dringen Kosaken in Sendenhorst ein, erpressen hohe Lebensmittel- und Futterlieferungen und verlangen außerdem die Anfertigung von Wintermänteln durch 30 eiligst zusammengerufene Schneider.

Nach ostelbischem Vorbild organisieren die Preußen im Frühjahr 1814 den Landsturm, dem alle waffenfähigen Männer angehören müssen. Die Einrichtung stößt bei der Bevölkerung auf Mißtrauen und Ablehnung. Von dem angeblichen Patriotismus der „Freiheitskriege“ („Der König rief und alle, alle kamen“) ist in Sendenhorst nichts zu merken. Der Landsturm ist, in vier Kompanien eingeteilt, die mit Piken bewaffnet, einmal monatlich und zwar sonntags nachmittags, zum Exerzieren auf die Osenheide ziehen. Der Landsturm hat die öffentlichen Gebäude zu bewachen, Gefangene und Deserteure zu begleiten sowie von der Truppe Entwichene festzunehmen. Den Akten ist zu entnehmen, daß allein vom 2. Bataillon der Westfälischen Landwehrinfanterie mehr als 300 Mann desertiert waren. Im Sommer 1814 hielten sich zahlreiche Deserteure im sog. Ketteler Horst auf. Der Sendenhorster und Everswinkler Landsturm sollte sie in einem geheimen Kommandounternehmen festnehmen. Ob die Aktion erfolgreich war, steht nicht bei den Akten.

1816 nahm Preußen endgültig von der Provinz Westfalen Besitz. Sendenhorst wurde dem Kreis Beckum zugewiesen. Ein Jahr später wurde das Stadtgericht nach Ahlen verlegt. Für viele Jahrzehnte war die Aufwärtsentwicklung der Stadt vorbei.

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