Nur viermal im Jahr gab es ein halbes Pfund Fleisch im Gefängnis

Auch Ehestreit Polizeisache / Mann mißhandelt seine Frau / Arrestant vom Pfarrer zu christlichem Lebenswandel ermuntert

Ziel vieler Saisonarbeiter aus dem armen Münsterland und somit auch Sendenhorst im 19. Jahrhundert: Das damals schon wirtschaftlich starke Holland

Sendenhorst. Ein Ehestreit steht im Mittelpunkt des zweiten Seminarberichts von Heinrich Petzmeyer:

Nicht alle Sendenhorster, die einen Paß beantragten, wollten ihrer Vaterstadt für immer den Rücken kehren. Die sogenannten Hollandgänger wanderten aus, um während der Sommermonate auf den Wiesen Hollands als Grasmäher zu arbeiten. Die Arbeit war schwer, Reichtümer waren nicht zu gewinnen. Die 15 Hollandgänger des Jahres 1828 brachten jeder nur 10 bis 15 Taler Ersparnisse mit nach Haus. Von Zeit zu Zeit, „wenn das Gras nicht geraten“, mußten sie erfolglos zurückkehren.

Wer preußischer Staatsangehöriger war, konnte nur über seinen Geburtsort einen gültigen Paß erhalten. 1855 wandte sich Professor Dr. Geilern aus York in England an das Bürgermeisteramt Sendenhorst, um eine Reiseerlaubnis nach England über Köln zu erhalten. Dieser gelernte Sohn unserer Stadt war der Heimatforschung bisher unbekannt.

In der Akte „Gesuche und Ertheilung von Reisepässen für das Ausland“ im Stadtarchiv Sendenhorst sind die ungültig gewordenen Pässe abgeheftet. Auf diese Weise erfahren wir etwas über die ausgedehnten Handelsreisen der jüdischen Mitbürger. Der Kaufmann Salomon Alsberg z.B. (Signalement: 36 Jahre, fünf Fuß vier Zoll = 1,60m, Haare Schwarz-braun, Augenbrauen dunkelblond, Augen grau, Nase dick und stumpf, Gesichtsfarbe gesund, Statur gesetzt), reiste von 1850 bis 1852 zu den Messen nach Braunschweig und Leipzig, sowie zu weiteren Geschäften nach Köln und Aachen.

Die Paßakte ist eine wertvolle Quelle über beachtliche Bevölkerungsbewegungen in der angeblich so geruhsamen, unveränderlichen, guten alten Zeit. Nicht minder Aufschlußreich sind die beiden Aktenbände „Ordnungspolizei 1830-86“ und „Sicherheitspolizei 1831-79“. Polizeiakten mit ihren Untersuchungen, Anzeigen und Ordnungsstrafen geben zwar nur die Übertretungen der Normen wieder, immerhin läßt sich aus ihnen die gültige Norm erschließen. Die folgenden Begebenheiten sind also nicht typisch für das Sendenhorster Alltagsleben, sie zeigen aber, wo nach weitgehend übereinstimmender Meinung von Bevölkerung und Obrigkeit die allgemeine Norm (das gesunde Volksempfinden) verletzt wurde.

Um ihre Aufgaben auch handfest und nachdrücklich erfüllen zu können, besaß die Stadt Sendenhorst nicht nur einen Polizeidiener, sondern auch ein Polizeigefängnis. In einer öffentlichen Ausschreibung erhielt der Wirt Untiedt 1833 als Geringstbietender den Zuschlag zur Lieferung von Speisen an das Gefängnis. Der Speisezettel, für ein volles Jahr im voraus festgeschrieben, gibt wohl die Ernährungsgewohnheiten der Normal-Sendenhorster jener Zeit wieder. Täglich erhielten Manns- und Frauenspersonen ein Pfund „gutes, ausgebackenes Schwarz-Roggenbrod“. Zum Brot wurde abends Salz gereicht. Dazu gab es mittags eine warme Mahlzeit, ausschließlich „Durchgemüse“. Wirt Untiedt lieferte im wöchentlichen oder vierzehntäglichen Wechsel Erbsen, Kartoffeln, Kartoffeln mit Sauerkohl, Graupen (Zutaten: Graupen, Butter, Salz und Mehl), Wurzeln, Rumpfortsuppe (Zutaten: Erbsen, Gerstengrütze, Kartoffeln, Fett, Salz, Essig), Kohlrüben mit Kartoffeln und Bohnen. Fleisch sucht man vergeblich auf dem Speiseplan. Dafür mußte schon ein ganz besonderes Ereignis eintreten: Ein halbes Pfund Fleisch und ein viertel Quart Bier stand den Gefangenen nur zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten sowie am Geburtstage des Landesherren zu.

Als Repräsentant der Ordnungspolizei fühlte sich Polizeidiener Degenhardt für Ruhe und Ordnung in der Stadt verantwortlich. Er nahm seine Aufgabe sehr genau und betrachtete auch Ehestreitigkeiten zu seinem Ressort gehörig. So steht zum Beispiel 1831 aufgrund der Klagen der Ehefrau des Leinewebers Anton S.: „Sie würde von ihrem Manne gewaltsam mißhandelt, er habe sie geschlagen, gestoßen und darauf mit einem Tritt vor den Hintern mit den Worten „Packe dich“ zur Haustür herausgeworfen.“

Als Ursache ihres ehelichen Zerwürfnisses gab die Mißhandelte an, „sie wäre ein armes Mädchen aus hiesiger Stadt und habe fast nichts mit in die Ehe gebracht. Ihr Mann habe dieses alles gewußt und erklärt, es wäre schon gut, er habe alles. Nunmehr, da sie wohl mehr als zwei jahre in der Ehe gelebt und ihr Mann keine Liebe mehr zu ihr verspüre, hielte er ihr dieses nicht allein täglich vor, sondern quäle sie den ganzen Tag. Es möchte sein, was es wolle, sie könnte es ihm nicht recht machen und täte ihm nie genug. Er wäre faul, streitsüchtig und geizig und wollte gut leben. Obwohl es ihnen an Milch, Gemüsen und Korn nicht fehle, so sollte sie doch betteln gehen. Sie schäme sich aber dieses zu tun, arbeite dagegen so viel wie man von ihr verlangen könne.“

Zum Beweis ihrer Enthüllungen zeigte die Ehefrau der Polizei braune Flecken auf der linken Backe, braune Flecken am rechten Arm und einen blutig geschlagenen kleinen Finger. Polizeidiener Degenhardt ließ den Ehemann vorführen, verhörte ihn und überwies ihn kurzerhand in den Arrest. Befragungen der Nachbarn in den nächsten Tagen ergaben kein klares Bild über die ehelichen Verhältnisse. Der Arrestant brachte die Polizei in Verlegenheit, weil er sich tagelang weigerte, Nahrung zu sich zu nehmen. Besorgt notierte Degenhardt: „Der Arrestant habe heute Morgen Wasser genommen, aber noch kein Brod, des Mittags ebenfalls nichts, am Abend wollte er noch kein Brod noch ein Butterbrod.“

Fünf Tage später schließt die Akte mit folgendem Protokoll: „Nachdem der S. wegen der seiner Frau zugefügten groben Mißhandlungen und seines während des Arrests erwiesene unbeugsamen Trotzes durch Abweisung von Lebensmitteln nach vier Tagen aus dem Arrest entlassen wurde, wurde ihm seine sträfliche Lebensart ernstlich verwiesen und er zu einem ruhigen thätigen Lebenswandel aufgefordert.“ Um seine polizeilichen Maßnahmen dauerhaft zu verstärken, schickte Degenhardt den widrigen Ehemann zum Pfarrer, damit „er von diesem zu einem christlichen lebenswandel ermuntert und zu ehelicher Eintracht ermahnt werden möge.“

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