Von Sendenhorst nach Haus Vorhelm

Wer die Schönheiten und Eigenarten der Heimat richtig kennenlernen will, der muss sie sich erwandern. – Darum auf, den Rucksack gepackt, und los, mit Wind und Wolken der Sonne entgegen.

Abbau des Sandes auf der Hardt - Abtransprt mit der Schmalspurbahn

Das Städtchen Sendenhorst hinter uns, geht es mit Singsang und leichtem Wanderschritt an der Ostheide, der früheren Stadtweide für Kühe und Schweine, vorbei. Heute wollen wir nicht daran denken, daß hier genau vor 600 Jahren der letzte Übeltäter am Galgen aufgeknüpft wurde.  Durch fruchttragende Ackerfelder führt der Weg. Ein Lindenbaum, der Lieblingsbaum unserer Ahnen, steht einsam in der Flur. In seiner Krone summend brummen emsig suchende Bienen. Nach kurzer Wegstrecke grüßt uns die Hardt. Noch vor einem Menschenalter standen hier auf dem sandigen Boden weite Kiefern- und Fichtenwälder. Jung und Alt pilgerte früher hier durch eine herrliche Birkenallee zur „Waldmutter“, um inmitten der Waldungen den Alltag und seine Nöte zu vergessen.

Bild: Waldmutter Anfang der 1960er Jahre

Nur noch ein paar Kiefern erinnern an den einstigen Waldbestand. Heute gleicht die Hardt einem Seen- und Dünengebiet. Überall leuchten die Zeugen der Eiszeit, die tiefen und hellen Sandbänke, auf. Durch die Endmoräne erhielt die Hardt ihre Geländeform und der Boden seine letzte Gestaltung. Die weiteren Zeugen der Eiszeit, die in der Endmoränenhügelkette vorgefundenen skandinavischen Gesteine, sind  zum großen Teil verschleppt und zu Straßenbauten verwendet worden. Wie auf der Hardt und in ihrer Nähe gemachte  Funde beweisen, standen auf dem später eisfreien Land die großen Wildarten, Mammut und wollhaariges Nashorn, Riesenhirsch und Auerochs. Der Sandrücken selbst wird wegen seiner Unfruchtbarkeit erst spät zum Ackerbau und zur Besiedlung gereizt haben. Doch werden die am Rande der Hardt gelegenen Bauernhöfe bereits in den ältesten Urkunden der Klöster erwähnt. Sie hatten vornehmlich Roggen und Hafer abzugeben. Der in den Sandmassen sich mitunter findende Bernstein stammt von der Meeresküste.

Täglich greift heute der Mensch in die Naturlandschaft der Hardt ein. Fleißige Hände sehen wir an der Arbeit, um die tiefen Sande an die Baustellen zu schaffen. Überall sind Schienen gelegt, auf denen mit feinstem Bausand beladene  Kippwagen nach den an den Rampen haltenden Lastzügen befördert werden. Schwere Baggermaschinen mit mächtigen Eisenketten sorgen dafür, daß auch die unteren Sandschichten ausgebeutet werden. Infolgedessen gähnen an vielen Stellen tiefe Löcher. Auch zur Herstellung von Kalksteinen eignen sich die Hardtsande vorzüglich. Mitten zwischen Roggenfeldern liegt das Kalksandsteinwerk Fischer, auf dem jeden Tag zehntausende von Steinen hergestellt und verfrachtet werden. Gegenüber befindet sich das Wasserwerk der Stadt Ahlen, die einen großen Teil des Wassers von hier bezieht.

Bild: Der rotrückige Würger

Weite Sandstriche sind heute bereits abgebaut. Gerade sie sind in ihrem Pflanzen- und Tierbestand von besonderem Reiz. Da sind große ehemalige Sandbrüche, in denen Laubwald- und Nadelwaldpartien miteinander abwechseln. Die vielen Büsche haben hier den rotrückigen Würger angelockt, der kleine Tiere, wie Frösche und Käfer, auf Dornen spießt. Während einige Sandgruben beinahe kahl daliegen, sind wieder andere fast ganz dem Ackerbau erschlossen. Hier finden wir Hafer-, Roggen- und Kartoffelfelder. An anderen Stellen hat eine Ortsteinschicht die Sande verkittet und die Sumpf- und Bruchbildung begünstigt. Schilf, Röhricht und Binsen mit ihrem dichten Wurzelgeflecht bilden die Pflanzendecke. Das wegen seiner „Kanonenputzer“ bekannte und von der Jugend geschätzte Kolbenrohr ist weit verbreitet. An manchen Stellen geht die Bruchflora in eine Heideflora über. Farnkräuter, Besenginster und Weidenröschen finden sich in großen Beständen. Zahlreiche Sandlaufkäfer huschen über die im Sommer von der Sonne durchglühten Wege. Besonders anziehend wirken die ausgebaggerten Sandteiche, die großen Seen gleichen.

Bild: Arbeiter beim Sandabbau

In ihnen tummeln sich Hechte und Karpfen. Still und steif, wie ein tiefdenkender Philosoph, steht am Uferrand der Fischreiher und späht mit scharfen Augen das Wasser nach Nahrung ab. Selbst der Fischotter lauert bisweilen im Weidengestrüpp auf Beute. Auch der Star hat in einem am Bagger angebrachten Nistkasten seine Wohnung aufgeschlagen und ist hier ebenso heimisch geworden wie das Teichhuhn, das zwar im Schilf Schutz und Obdach gefunden hat, aber beim Untertauchen oft den Hechten zum Opfer fällt. In den weißen Sandbänken ließen sich die immer seltener werdenden Uferschwalben nieder, schufen in den Wänden lange Röhren und bauten darin ihre seltsamen Nester.

Dann nimmt uns das liebliche Angeltal mit seinen saftigen Wiesen und Weiden auf. Breit lagern sich die Bauernhöfe an den Flußufern. Schwarzbunte Rinder und braune Pferde waten in dem schwellenden Grün. Wie ein silbernes Band windet sich die Angel durch die Landschaft. In jahrtausendlanger Arbeit hat sie sich ein tiefes Bett gegraben. Murmelnd gleiten die leichtgekräuselten Wasser dahin, als wollen sie in raschem Lauf Zwiesprache halten mit Bäumen und Blumen. Selbst die hohen Pappeln, die das ganze Flußbett umfassen, neigen sich, als wollten sie gnädig Anteil nehmen an der Plauderei. Leider ist bereits die Axt an ihre Wurzeln gelegt. Gefällten Riesen gleich, liegen schon viele Stämme wie ausgerichtet am Uferrand. Auf einem vorspringenden Ast entdecken wir einen blaugrünen Fischer. Es ist der fliegende Edelstein unserer Gewässer, der Eisvogel. Kaum hat er uns gesehen, schießt er, schillernd im Sonnenschein, in schwirrendem Fluge niedrig über die Wasserfläche dahin. Dem an der Angel gelegenen Reiherbusch statten wir einen kurzen Besuch ab. Mit einem durchdringenden Geschrei durchstreifen die stolzen Segler der Lüfte ihre in hohen Eichen- und Tannenwipfeln angelegten Horste. Bald sich nähernd, bald sich entfernend, flattern sie mit mächtigem Flügelschlag hin und her. Das plärrende Keckekeck der erwachsenen Jungen, die wenig mit der Grazie ihrer Eltern gemein haben, verstummt, wenn wir in die Nähe des Nestes kommen. Nahrungsabfälle, wie ganze Fische, Frösche und Wasserratten finden sich unter den Horstbäumen. Über „Amerika“, einem schon zu Enniger gehörenden Waldgebiet, hören wir den kurz ausgestoßenen, dem Miauen der Katze ähnlichen, „Hiöch“-Ruf des Mäusebussards. Zugleich gewahren wir das schöne Flugbild der dort kreisenden Bussarde, die sich in Spiralen immer höher schrauben, kaum die Schwingen bewegend.

Plötzlich ist es, als wenn das Tosen eines Wildbachs an unser Ohr tönt. Überrascht stehen wir vor einem Wasserfall. Rauschend und schäumend, glucksend und sprudelnd springt das Angelwasser kopfüber, kopfunter über Moos und Stein und lädt plätschernd zum Weiterwandern ein. Eichendorffs Lieder begleiten uns. An der Seite kündet weißer, abgelagerter Flußsand, daß die Angel mitunter ihr Bett verläßt. Nur hundert Meter weiter lädt an einem idyllischer Platz eine Bank zu freundlichem  Verweilen ein. Horch, wie das geigt und singt, pfeift und klingt im frischen grünen Wald! Da – zur Linken ein interessantes Naturdenkmal, eine stattliche Eiche hat einen starken Ast zur Erde geschickt, der dann in den Boden wuchs, gleichzeitig aber neue Ausschläge zeigt. Stamm und Ast bilden ein eigentümliches Tor, das wiederum den Rahmen abgibt für eine alte Eibe. Dieser heute leider aussterbende Baum ist kein Fremdling auf deutschem Boden, für den er oft gehalten wird. Ehemals stellte er in den Urwäldern das Unterholz dar, in dem sich Wisent, Bär, Wolf und Luchs versteckten. Im Mittelalter gehörte zu jeder Burganlage auch die Eibe. Aus dem biegsamen und elastischen Holz fertigten die Ritter Lanzenschäfte, Armbrüste und Bogen an. Auch wurde das Eibenholz oftmals zur heiligen Schwelle des Hauses benutzt. Aus den Sträuchern flochten die Bräute ihren Brautkranz. Doch galt er auch als Totenbaum, denn unsere Vorfahren legten den Verstorbenen Eibenzweige ins Grab.

Nimmermüd springt die Angel weiter an uns vorbei. Über uns bilden die Bäume ein dichtes Zelt. Auf dem Boden spielt die Sonne. Aus einer lichten Birke vernimmt man das sehnsuchtsvolle Lied des rucksenden Taubers. Auf der Brünningschen Brücke erinnert uns ein gestürzter, aber im Sturz von den Nachbarn aufgefangener Baum an Kellers Worte: „Wenn ein Stamm im Sturme bricht, halten ihn die Brüder.“ In einem alten Schafstall trippeln und trappeln die weißen Schafe. Ihre stete Begleitung, die prachtvolle gelbe Schafstelze, schaukelt sich zutraulich an einer Staude. Der mächtige Stumpf einer kalifornischen Riesentanne ragt in den Parkanlagen des Schulzen Brüning, umrahmt von Kastanien, Silbertannen, Trompetenbäumen und Lebensbäumen, obeliskartig in die Luft. Gelegentlich eines schweren Gewitters erwies er sich als ein treuer „Wächter an des Hofes Saum“ und bewahrte Haus und Hof vor Schaden. Dichtes Farnkraut steht zu unsern Füßen. Durch verträumte Wiesenauen schlängelt sich die Angel. Weidenbüsche umsäumen stellenweise ihre Ufer.

Wir stehen vor Haus Neuengraben, einem früheren Rittergut. Es liegt im Schatten einer mächtigen Eiche, die für ewig Wache zu halten scheint. So mögen auch die Donareichen ausgesehen haben, die bei Einführung des Christentums gefällt wurden. Der trotzige, knorrige Baum sah die wechselnde Geschichte des Rittergutes. Er ist wohl der einzige Zeuge dafür, wie vor 350 Jahren der Ritter Gerd von Beverförde-Werries in das Haus Neuengraben eindrang und die Gutsfrau Anna von Berge-? gewaltsam entführte. Grüßend wird er auch seine Wipfel geschwenkt haben, als diese, nachdem der Entführer nach heißem Kampfe überwunden und getötet worden war, wieder ihren Einzug auf Neuengraben halten konnte. Heute haben wir nur den Wunsch, dass die Eiche weiterhin liebend gehütet werde. Das Haus selbst lugt mit seinem hellen Anstrich und seinem roten Dach weit in die Landschaft hinaus. Nicht wenig erschrocken sehen wir aus der Gräfte im Steilflug ein paar Wildenten hochgehen. Im nahen Gebüsch steht der rote Bock, der hier genauso gehegt wird wie Star und Meise, die auf Neuengraben keine Wohnungsnot kennen, da überall Nistkästen aufgehängt sind.

Bild: Schloß Vorhelm 1861 (Wikipedia)

 Über das Schloß Vorhelm wandern wir zurück. Malerisch liegt es zwischen großen Teichen, deren Ufer hohe, efeuberankte Bäume umkränzen. Eine alte Ölmühle erregt unsere Aufmerksamkeit. Von einer sehenswerten äquatorialen Sonnenuhr in ?-Form auf dem sich eine Wetterfahne befindet, lesen wir die Zeit ab. Eine herrliche Kastanienallee führt auf einen Waldweg. An den alten Kastanien fallen uns mächtige Geschwulste auf. Auf einmal ? der Fuß. Vor uns liegt eine Waldwiese, wie sie kaum schöner sein kann. Wie ausgesät stehen Weidenröschen neben Weidenröschen, die von bunten Schmetterlingen in …........ Fluge geküßt werden. Ein rosenroter Schimmer liegt über dem wunderbaren Blumenfeld. Weiße Sommerwölkchen ziehen hoch oben über die dunklen Fichten. Tief atmend baden sich die Lungen in der reinen, erfrischenden Luft. Bald haben wir das gastliche Tönnishäuschen erreicht, das uns nach froher Wanderung zu erquickender Rast einlädt. Wahrlich, schön ist auch unsere nahe Heimat und es wert, sie kennenzulernen.

 

 

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