Vom Rathaus und von seinen Bürgermeistern

Um zwei Mittelpunkte spielt sich in unserem westfälischen Landstädtchen seit dem ausgehenden Mittelalter das öffentliche Leben ab, und zwar um Kirche und Rathaus. Stellt jene das Wahrzeichen des religiösen Gemeinschaftslebens dar, so dieses den Mittelpunkt des städtischen Gemeinwesens. Beide ragen, wo ein glückliches Geschick es gefügt hat, als die Jahrhunderte überdauernde Zeugen wechselvoller geschichtlicher Vergangenheit in unsere Tage hinein. Sendenhorst kann sich solchen Glückes nicht freuen, denn Kirche und Rathaus, wie sie heute das Stadtbild beherrschen, verdanken einer sehr jungen Zeit ihr Entstehen.

Das neue Rathaus mit dem Wappen

Von dem ältesten Rathaus der Stadt ist uns nichts mehr als die Nummer, die es im Häuserbuch der Stadt getragen hat, bekannt. Ein im Jahre 1750 von Pfarrer Dr. Kuipers angelegtes Verzeichnis führt es als Nr. 234 auf. Die Mitteilung, so dürftig sie ist, besagt uns doch etwas sehr Wertvolles: Das älteste Rathaus hat nicht auf dem Platz des heutigen gestanden, es hat vielmehr im Nordviertel gelegen, in der Nähe des Schöckingschen, jetzt Sickmannschen Hauses und der Schule. Hier mag es länger als seine kurzlebigen Nachfolger Bestand gehabt und als Wahrzeichen der Stadt Jahrhunderte überschaut haben. Die unruhvollen Zeiten des ausgehenden Mittelalters, die religiösen Wirren der Reformation, die auch an die vom hl. Martinus beschützten Mauern Sendenhorsts ihre Wellen geschlagen hat, die Zeiten, da vor gerade 400 Jahren die Wiedertäufer ihre Herrschaft in Münster gewannen und verspielten, die furchtbaren Jahrzehnte des 30jährigen Krieges, der Einfall der Spanier (1628) und Hessen (1637), die harten Unglücksjahre des Siebenjährigen Krieges und der napoleonischen Fremdherrschaft waren Zeiten von Not und Tod, die das älteste Rathaus erlebt hat, da immer wieder die feindlichen Mächte im Land standen und wie Wilde plündernd und mordend die Gegend unsicher machten. Sorgenvoll kamen dazumal die Ratsherren unter ihren beiden alljährlich aus der Bürgerschaft erwählten Bürgermeistern in der Ratsstube zusammen, um zu beraten, wie sie die Lasten der Besatzung tragen, wie sie die Habe der Bürger schützen könnten. Aber es war nicht immer Krieg im Lande. Die glücklichen Zeiten des Friedens mehrten Reichtum und Wohlstand der Stadt. Dann war es leichter, Bürgermeister und Ratsherr zu sein und manches Schützenfest der Johannisbrüder mag auf dem Saale des Rathauses gefeiert worden sein, fröhliche Unterbrechung alltäglichen Dienstes. Ein altes Protokoll vom 11. 7. 1794 meldet der Nachwelt, daß das älteste Sendenhorster Rathaus auch für gesellige Zwecke Verwendung fand. Jahrhunderte mag es so im Dienste der Bürgerschaft sein Leben gefristet haben, bis es im Jahre 1806 einem der furchtbarsten Brände, von dem Sendenhorst im Verlauf seiner Geschichte heimgesucht wurde, zum Opfer gefallen ist. Dieser Rathausbrand ist ein eigenartiges Sinnbild des düsteren unheilvollen Zeitgeschehens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Napoleons siegreiches Heer brach in die deutsche Heimat ein, Jahre der Fremdherrschaft begannen, die vieles änderten. Der Bürgermeister leitete als „Maire“ die Geschicke der Stadt, die nach dem Friedensschlusse zwischen Napoleon und dem König von Preußen im Jahre 1808 dem Großherzogtum von Berg einverleibt wurde. Dies war nach französischer Verwaltungseinteilung in Departements (etwa eine Provinz) gegliedert, die in Arrondissements (Regierungsbezirke) zerfielen, die wiederum in Kantons (Kreise) eingeteilt waren. Maire Langen verwaltete also die Bürgermeisterei Sendenhorst im Kanton Ahlen, Arrondissement Hamm, Departement der Ruhr.

Für viele Neuerungen französischen Stiles hatte das uns bekannte erste Rathaus seine Räume nicht mehr herzugeben brauchen. Doch hat es noch kurz vor seinem Untergange, als 1802 die Preußen Besitz nahmen von dem alten Fürstbistum Münster, den Anbruch der neuen Zeit preußischer Herrschaft erlebt. Nach den Freiheitskriegen sollten diese endgültig die Geschicke der Stadt bestimmen. Es war der neue Geist der Stein-Hardenbergschen Reform, der in die Verwaltung der Stadt Sendenhorst einzog. Am Marktplatz - erst der Brand von 1806 hatte diesen freien Platz im Herzen der Stadt geschaffen - war inzwischen ein neues Rathaus erstanden; unter großen Opfern der bedrängten Bürgerschaft und nur auf das Notwendigste ausgerüstet. Es steht im Bilde, das uns glücklicherweise erhalten ist, vor uns. Es hat die Freiheitsstürme von 1813 bis 1815 erlebt, aber auch die revolutionären vierziger Jahre sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Es sah 1864, 1866 und 1870/71 die Söhne der Stadt in den Krieg ziehen, es war Zeuge wirtschaftlichen Niederganges und eines langsamen Wiederaufblühens der Bürgerschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts, über das es manche Alte und Urkunde aufbewahrt hat. Vor allem aber ist es auf das stärkste von den innerpolitischen Veränderungen berührt worden, welche die preußische Zeit mit sich gebracht hat. Bei der Besitzergreifung Preußens 1802, als das alte und umfangreiche Amt Wolbeck, zu dem Sendenhorst jahrelang gehört hatte, aufgelöst wurde, kam es zunächst zum Kreise Warendorf, nach den Freiheitskriegen zum Kreise Beckum, zu dem es heute noch gehört. Damit wurden Bürgermeister und Ratsherren dem Regiment des Landrats unterstellt, das straffer war als das des Amtsdrosten von Wolbeck. Es mag wohl seine Zeit gedauert haben, bis sich der Maire Langen und seine Nachfolger Rohr, Markus und Brüning und mit ihnen die Sendenhorster Ratsherren an die preußische Hoheit gewöhnt hatten. Das Jahr 1856 brachte mit der neuen Städte- und Landgemeindeordnung eine weitere bedeutsame Veränderung in dem Verwaltungssystem des Rathauses. Bis dahin war Sendenhorst (Stadt und Land) zu einem politischen Gemeinwesen zusammengefaßt. Als Bürger sich nun für die freie Städteordnung entschieden, wurde der ländliche Bezirk - die Kirchspielgemeinde - abgegliedert und dem Amte Vorhelm zugeteilt. Indes blieben in Zukunft Schule, Rathaus, Kirche und Friedhof gemeinsames Eigentum. Im Jahre 1907 wurden jedoch die Rechte der Kirchspielgemeinde an das Rathaus abgetreten. Zwar hatten sich damals die Bürger an die eingewurzelte freiheitliche Selbstverwaltung gewöhnt, und einen kollegialischen Gemeindevorstand (Magistrat) gewünscht, doch erhielten sie die Städteordnung mit einfacher Bürgermeistereiverfassung, die den kleinstädtischen Verhältnissen dienlicher sei. Damit gingen alle Rechte und Pflichten des Magistrats auf den Bürgermeister über.

Wenige Jahre vor der Durchführung der großen Verwaltungsreform waren umfangreiche Ausbesserungen im Rathaus notwendig geworden, die Bürgermeister Kreuzhage in den Jahren 1853/54 vornehmen ließ. Bis 1878 wurden 2-3 Räume des Hauses für Schulzwecke verwendet. Noch mancher Sendenhorster wird das aus eigener Erfahrung bestätigen können.

  
Bild: Der Sitzungssaal des neuen Rathauses

Es ist gewiß als ein Zeichen des wirtschaftlichen Aufstieges der Stadt zu betrachten, wenn im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts Bürgermeister Hetkamp den Plan faßte, das alte Rathaus, das schon recht baufällig geworden war, abzubrechen und ein stattlicheres an seine Stelle zu setzen. Wenn er auch anfänglich bei den Stadtverordneten auf Schwierigkeiten stieß, so verstand er es doch, sie von der Notwendigkeit eines Neubaues zu überzeugen. Es wurden vorerst auch von der Aufsichtsbehörde Bedenken geltend gemacht, die sich vor allem auf die Platzfrage, den geplanten Abbruch des alten Rathauses bezogen, denn das Rathaus besitze einen großen historischen Wert, und es läge im öffentlichen Interesse, daß dieses historische Denkmal im Schatten der prächtigen Plantanen der Nachwelt erhalten bliebe. Bürgermeister Hetkamp wußte seinem Antrage in der Stadtverordnetensitzung vom 7. 6. 1910 „die Stadt ist gewillt, ein neues Rathaus zu bauen“ Annahme zu verschaffen. Die Anfertigung der speziellen Pläne, Kostenanschläge sowie die Leitung wurden dem Architekten Diening in Münster übertragen, der sie im Einvernehmen mit dem Stadtverordnetenkollegium auszuarbeiten hatte. In 39 Sitzungen wurde darüber debattiert. Während des Winters 1910/11 wurde das vor 100 Jahren errichtete Rathaus abgebrochen. Am 28. 3. 1911 wurde die letzte Stadtverordnetensitzung im alten, dem Abbruch verfallenen Rathause abgehalten, die späteren Sitzungen fanden in den provisorisch eingerichteten Räumen bei Düring statt. Das Material fand Verwendung bei dem Neubau eines Hauses, dem Krankenhause gegenüber, das zunächst als Jugendheim mit Turnhalle, später ein Teil davon als Rektoratschule benutzt wurde und heute noch wird. Der Volksmund nennt es: das alte Rathaus. Am Marktplatz aber entstand das neue Haus. Das Innere des Gebäudes erhielt eine würdige Ausstattung. Die bunten Fenster im Sitzungssaale und im Treppenhause wurden von der Firma Hange in Münster ausgeführt.

Im Herbst 1911 konnte das Rathaus seiner Bestimmung übergeben werden, wobei von einer öffentlichen Feier aus Sparsamkeitsrücksichten Abstand genommen wurde. Der Kostenaufwand betrug 55 000 Mark, die von der Sparkasse der Stadt Sendenhorst und des Amtes Vorhelm gegen Verzinsung und Überlassung der für ihren Betrieb notwendigen Büroräume zur Verfügung gestellt wurde.

In einfacher, ruhiger, monumentaler Form erhebt sich das neue Rathaus, das Haus der Bürgerschaft am Marktplatze als der stolze Nachbar der Stadtkirche, die dem Patrone, dem hl. Martinus, geweiht ist. Sein Bild nach dem ältesten Stadtsiegel aus dem Jahre 1489, das in Soest aufbewahrt wird, vom Hofwappenmaler Hehling in Berlin entworfen, ziert das heutige Stadtwappen Sendenhorsts.

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