Das „Scandalum“ der Sendenhorster Maria-Magdalenen-Bruderschaft Und der Schützenfestbericht des Küsters Nonhoff Anno 1733
Von religiösem Geist und hilfsbereiter Bestimmung können die Pfarrer zu Sendenhorst um 1700 und in den folgenden Jahrzehnten selbst bei einer sehr wohlwollenden Betrachtung nichts spüren. – Man weiß nicht, wie alt diese Sendenhorster Schützengilde ist. Nach sicherlich schon generationslanger Vereinsgeschichte ist die Bruderschaft um 1700 ein zünftiger Schützenverein mit den möglichen Nachteilen, aber auch mit allen Vorzügen, die ähnliche Gilden anderen Namens und fast aller Orte im Münsterland haben. Was sich in den folgenden Jahren nach 1700 zu Sendenhorst begibt, ist nichts Besonderes. Das Alltägliche und Allgemeine erfährt hier aber seine lokale Aktualität und darüber hinaus seine allgemeine Bedeutung als Zeugnis der Zeitgeschichte, nachdem das Schießen um den Vogel und das Feiern des Schützenkönigs dort plötzlich ins Licht der Öffentlichkeit des Münsterlandes tritt. Diese den Sendenhorstern sehr unerwünschte Publizität ihrer Schützenbräuche geht auf den moralisierenden Zeitgeist von Behörden, Amtsstuben und Pfarrhäusern zurück, der in jenen Jahren nicht immer die Spreu von dem Weizen zu scheiden und Echtes von Unechtem, Ueberkommenes von Entartetem zu trennen wußte. Jene ersten Mandate einer beginnenden „Aufklärung“ verboten nicht nur Osterfeuer, Lambertuslicht und Martinsabend, sondern auch Vogelschießen und Gildenfröhlichkeit. Die neue Begründung war eine „aufgeklärte“, sie nannte nicht mehr heidnischen Unfug und Aberglauben, sondern Verschwendung von Brennmaterial, fahrlässiges Verhalten bezüglich Brandgefahr und in unserem Falle die Aufreizung zu Sittenverderbnis im allgemeinen und zu „Exzessen in Bacho et Venere“ im besonderen. Man sah in der Umrahmung von Bierbechern und Tanzmusik nicht das Wesentliche, und man ignorierte damals beim Vorkommen gelegentlicher Fälle, die berechtigten Klagen Anlaß geben mochten, das Volkhafte und Brauchtumsmäßige.
Mit einem solchen Standpunkt und den Anstrengungen, Zeit und Menschen in diesem Sinne zu verbessern, befaßt sich der Schriftwechsel, den eine kleine Aktenmappe mit dem Titel der Sendenhorster Maria-Magdalenen-Bruderschaft im Diözesanarchiv zu Münster enthält. Schon dieser – in Lateinisch abgfefaßter – Schriftwechsel bietet einiges Ergötzliche. Wertvoll für die Geschichte des heimischen Schützenwesens ist aber der Festbericht, den der Sendenhorster Küster im Deutsch jener Jahre, aber nicht in festlicher Stimmung, sondern im befohlenen Rapportstil gegeben hat. Ein älterer lateinischer Brief des Sendenhorster Pfarrers berichtet in dieser Sache vom „Scandalum“ der Maria-Magdalenen-Bruderschaft. Und man wäre nach der Lektüre einer scharfen „Philippika“, das mit einer Vielzahl drastischer Worte gepfeffert ist, durchaus geneigt, den Sendenhorster Magdalenenbrüdern jener Jahre alle möglichen Lausbubereien zuzutrauen, wenn man nicht aus den späteren Schriftstücken die Harmlosigkeit aller Geschehnisse erfahren würde und das „unerhörte Scandalum“ als vergnügliches Vogelschießen mit Umtrunk und Tanz wie eine Seifenblase zerplatzen sieht.
Der in dieser Sache wider die Sendenhorster Schützen so amtseifrige Pfarrer Christophorus Bernardus Borchorst war nicht der erste Pastor, der gegen das damalige Schützenfestfeiern Sturm lief. Er sagte in seinem Klagebrief vom Jahre 1734, daß bereits sein Vorgänger im Amte in dieser Sache tätig war. Er habe damals sogar Unannehmlichkeiten mit der Bevölkerung, ja, selbst Verfolgungen wegen der gleichen Haltung in Kauf nehmen müssen. Es spricht ohne Zweifel für den seelsorglichen Eifer der Sendenhorster Pfarrer und für deren Pflichtbewußtsein in der Bevolgung der Mandate des Bischofs und Landesherrn und seiner Regierung, wenn sie der Lokalluft zum Trotz und ohne Furcht vor Anfeindungen einen – wie sich später zeigen sollte – auf die Dauer doch aussichtslosen Kampf wider menschliche Gepflogenheiten, Sitte und Brauchtum und deren damals befürchtete Entartung führten. Das erste Datum in diesem Streit um die Sendenhorster Königskürung ist nicht aktenkundig. Aber das erstmalige Verbot des Sendenhorster Schützenfestes datiert vom 21. August des Jahres 1723. Und nicht nur das Vogelschießenfeiern, sondern auch dessen Trägerin, die doch einstmals kirchlich orientierte Magdalenenbruderschaft, wurden untersagt.
Wie stark oder wie wenig diese Edikte wider die Sendenhorster Schützen ernst genommen wurden, erhellt wohl aus den Wiederholungen der Verordnungen. Zehn Jahre später, 1732, und dann noch einmal, 1733, kamen sie zur Verkündung. Ob man in den ersten Verbotsjahren bescheidener und zaghafter feierte und erst in den letzten Jahren jenes Dezenniums zwischen 1723 und 1733 tüchtiger „auf die Pauke“ haute, weiß man nicht. Jedenfalls ist es aus den Jahren 1731, 1732 und 1733 aktenkundig, daß die Magdalenbrüder ihre Musikinstrumente hervorholten, selbst die große Trommel mitführten, ihre Fahnen entrollten und mit diesem Rüstzeug die Magdalenentage ihre „Festprozession“ unternahmen.
Bereits im letzten Jahre, 1733, hatte man noch rechtzeitig diese Umzüge zu verhindern versucht. Unmittelbar vor dem Magdalenentag (22. Juli) wurde das Dekret des Archidiakons vom 19. Juli 1733 publiziert. Eigentlich, so meinte man, wäre dieses Dekret überflüssig gewesen. Denn die Veranstalter hatten doch anläßlich ihrer Osterbeichte zur österlichen Kommunion schriftlich versprochen, das Magdalenenfeiern zu unterlassen. Aus und zwischen den Zeilen der Aktennotizen mag man die Spannung herauslesen, mit der in Sendenhorst der Magdalenentag des Jahres 1733 erwartet wurde. Aber nicht nur ein Mandat hatte man erneuert, man scheint auch der einheimischen Geschäftswelt, den Bierbrauern und Wirten, bei Androhung von Konzessionsentzug den Verkauf von „Magdalenenbier“ untersagt zu haben. Die schlauen Sendenhorster wußten sich zu helfen. Das Bier wurde von auswärts gekauft, noch dazu von Steuergeldern. Ja, der Magistrat der Stadt, der doch von Rechts wegen Hüter der Ordnung sein sollte, gibt sich als Protektor der Bruderschaft und spendiert das Königsbier, das Vogelschießen fand statt. Ueber diesen 22. Juli 1733 schrieb dann auf Anordnung J. H. Nonhoff, Kustos in Sendenhorst, folgendes Protokoll: „Anno 1733, den 22. Juli, haben sich die Junggesellen lustig gemacht und auff den Rathauß getruncken auf folgende weiß:
1. Von die beyden Bürgermeisteren Johan Berndt Wieler und Ferdinandt Hölscher haben sie daß Bier bekommen.
2. Ahage sein Sohn, Johan Henrich genannt, und Bußman und Hernhuß aus steinfurt (wohl Frensteinfurt) haben mit der Musik aufgewartet.
3. auff Mariae Magdalenae Tag ohngehr umb halber fünff seindt sie zusahme von Rathauß gangen, mitt der Fahne und Trommen und Musik auff der gassen gewesen.
4. seindt sie wieder nach den Rathauß gangen und sich lustig gemacht biß zehn oder elff uhren.
5. den 23. Juli seindt sie und zwey uhren zusahmen komen mit der Fahnen und Trommen, ordentlich nach der Ostheide gangen und nach der schiebe geschossen.
6. von der Heide seindt sie wieder auff der gassen gangen und die Fahne vor deß Capiteins Hauß und Leudtmans Hauß geschlagen und nachgehenß wieder auff den Radthauß und haben sich wieder lustig gemacht biß Eilff uhren.
7. den dritten Tag seindt sie umb eyn Uhren wieder auff den Radthauß zusahmen kommen undt mit der Fahne und Trommen undt Musick auff der gassen gegangen und wieder vor deß Capiteins und Leudtinans Hauß wieder die Fahne geschlagen.
8. seindt sie wieder auff den Radthauß gangen, und haben sich wieder Lustig gemacht biß ohngefehr zwelff uhren.
9. seindt sie wieder von den Radthauß gangen undt den König nach Hauß gebracht.
10. Ahn der Königß Hauß seindt sie gewesen von 12 Uhren biß ohngefehr umb 3 Uhren des nachtes und haben getrunken.
11. mit der gesellschaft seindt gewesen: berndt Dirk Bonse, König, Berhardus Busman, berndt anton Ritter, Anton Harderscheidt.
12. Mägde (Ehrenjungfern wohl) seindt geweßen: Zurhorst Tochter, Ritters Magd, undt noch etliche mehr, dessen (sic!) nahme mir unbewußt ist.
J. H. Nonhoff, Custos in Sendenhorst.“
Dieser interessante Bericht besagt also u. a., daß das Sendenhorster Königsschießen kein richtiges Vogelschießen, sondern ein Scheibenschießen ist. Die große Ehre an diesen Tagen erhalten Magistrat, Kapitän und Leutnant und erst dann der König, dem man das Heimgeleit erweist. Erst an diesem dritten Abend feiert man bis in die Nacht. Selbst der Bericht des Küsters bestätigt, daß es „ordentlich“ zugegangen sei.
Im folgenden Jahre schreibt Pfarrer Borchorst eine Woche vor dem Magdalenentag an den Sendenhorster Archidiakon, den Freiherrn von Nagel zu Loburg in Münster. Wahrscheinlich wurde diesem Brief das Protokoll des Küsters vom Vorjahr beigefügt. Um ein erneutes und schärferes Verbot der Bruderschaft und um ein drastisches Einschreiten gegen die „rebellischen Pfarreingesessenen“ wird gebeten. In diesem Jahre 1734 scheint man nicht um den König geschossen zu haben. Und auch in den folgenden Jahren ist vom Trinken des Magdalenenbieres nicht die Rede.
Aber dann kam das Jahr 1736. Das kommende Magdalenenfest kündigte sich bereits zur Osterzeit und mit einer offenkundigen Sünde an. Der alte Trotz lebte wieder auf. Die Sendenhorster wendeten sich nun ebenfalls an den Herrn Archidiakon. Sie taten es nicht ohne Erfolg. Wenigstens wurde es so erzählt. Der Pfarrer Borchorst traute – wie er schreibt – seinen Ohren nicht. Er wolle nicht glauben, daß ausgerechnet der Archidiakon der Magdalenenbruderschaft neue Lizenz gegeben habe, ja, geradezu unglaublich, daß diese Lizenz auf ewige Zeiten in unverschämter Weise beantragt worden sei. Diesen Antrag habe im Namen der Sendenhorster ihr Rezeptor gestellt. Ob Wahrheit an diesen Gerüchten ist, weiß man nicht. Jedenfalls wurde Anno 1736 das Magdalenenfest in alter Frische gefeiert, nicht nur das, man beging es „wilder“ als zuvor, notiert Pfarrer Borchorst. Und selbst die Juden beiderlei Geschlechts hätten sich den Christen, den Brüdern und Schwestern der Bruderschaft, zusammengetan. Daß die Lizenz auf ewige Zeiten nur eine Wirtshausparole war, mag man um so leichter glauben, nachdem jetzt ein neues Verbot zum Magdalenentag des Jahres 1737 aus Münster kam. Pfarrer Borchorst erreichte mit seinem Klagebrief vom 12. Juli 1737, in dem er dem Diakon von St. Mauritz zu Münster und Promotor zu Sendenhorst, seinem einstigen Mitbruder, R. D. Farwick, seine Sorgen mitteilte, daß bis auf weiteren Bescheid des Archidiakons der Freiherr von Nagel alle Zusammenkünfte der Magdalenenbruderschaft bei einer Strafe von jeweils einem Zentner Wachs verboten wurden. Mit dieser hohen Strafandrohung bricht das Aktenmaterial der Sendenhorster Schützen ab.