Das St. Josef-Stift in Sendenhorst Vom Krankenhaus zur Fachklinik
1842 etwa gab es in der Stadt 275 Häuser und es lebten nur 20 Familien in bürgerlichem Wohlstand. 75 hatten ihr notdürftiges Auskommen, 165 lebten dürftig und 51 Haushalte waren bettelarm. (1) Eine Statistik über die Berufsgliederung der Haushaltsvorstände 1863 lässt erkennen, dass die Verhältnisse sich bis dahin nicht durchgreifend gebessert hatten. 1,8 % waren Landwirte und Ackerbürger, über 70 % kleine Gewerbetreibende, zumeist Handwerker ohne Vollbeschäftigung und daher ohne Mitarbeiter; 20,5 % der Haushalsvorstände zählten zu den Armen. (2) Eine grundlegende Besserung der Lebensgrundlage der Bevölkerung war auch knapp 30 Jahre später nicht zu verzeichnen, zumal die späten 70er und frühen 80er Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutschland von Wirtschaftskrisen geprägt waren. Krankheit bedeutete daher für viele zugleich vermehrte wirtschaftliche Not; die Armen und Ärmsten waren zudem oft nicht in der Lage, eine auch nur einigermaßen geordnete Pflege ihrer kranken Angehörigen zu gewährleisten.
Stiftung von Josef Spithöver
Der angedeutete soziale Hintergrund, der sich mehr oder weniger auf viele der kleineren Gemeinwesen im Kreis übertragen lässt, zeigt Aufgabe und Bedeutung der ländlichen Krankenhäuser, wie sie meist auf die Initiative der örtlichen Pfarrer hin im 19. Jahrhundert überall im Münsterland begründet wurden. Auch in Sendenhorst gingen der Errichtung des St. Josef-Stiftes jahrelange Bemühungen seitens der Kirchengemeinde voraus. Es gelang aber nicht, die notwendigen Mittel aufzubringen. Doch es fand sich schließlich ein großherziger Stifter: Josef Spithöver. (3)
Er wurde am 2. Oktober 1813 in Sendenhorst als Sohn eines Zimmermanns geboren. Er war kaum vier Monate alt, als sein Vater starb. Der Sendenhorster Bürgermeister Langen nahm den Jungen in Pflege und ermöglichte ihm, in Coesfeld das Buchbinderhandwerk zu erlernen. Als Geselle ging Spithöver auf Wanderschaft und wurde schließlich 1842 in Rom sesshaft.
Im Jahre 1845 eröffnete er die erste deutsche Buchhandlung in Rom und hatte damit Erfolg. Er war ein wacher unternehmerischer Kopf, der geschäftliche Chancen wahrzunehmen wusste. So kam er zu Vermögen. Er war aber zeitlebens auch ein ausgesprochen hilfsbereiter Mann, den seine aufrichtige Glaubenshaltung prägte. Der Kontakt mit der Heimat war nie abgerissen, daher war es naheliegend, sich in der Krankenhausfrage an ihn zu wenden.
1845 Spithövers Buchhandlung in Rom
Spithöver erwies sich als ausgesprochen großherziger Stifter 662.000 Goldmark brachte er in den Jahren 1887 bis 1889 auf, um das Krankenhaus zu errichten und für dessen wirtschaftliche Absicherung zu sorgen. Das Haus war als sozialer Stützpunkt gedacht. Ein Kindergarten, fast schon eine Kindertagesstätte, war integriert, ferner eine Wäscherei und eine Bademöglichkeit für die Bevölkerung sowie eine Nähschule.
Das Gebäude war eigentlich überdimensioniert, was sich allerdings in der Zukunft als Glücksfall erweisen sollte. Es war ein Zweiflügelbau von etwa 80 Meter Frontlänge mit zwei Geschossen. Das Zentrum bildete eine Kapelle in den Maßen einer kleinen Kirche, deren schlanker, hoher Turm das Gebäude prägt und auch das Sendenhorster Ortsbild bis heute deutlich mitbestimmt.
Spithöver errichtete das Krankenhaus als eine selbständige Stiftung, die von einem Kuratorium vertreten wird und der Stiftungsaufsicht des bischöflichen Stuhles in Münster untersteht. Der Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Martin (heute St. Martinus und Ludgerus) ist geborenes Mitglied des Kuratoriums. Der Stifter legte fest, dass Bedürftige kostenlos betreut und gepflegt werden sollten. Auf seinen Wunsch übernahmen die Franziskanerinnen von Münster St. Mauritz den Pflegedienst. Als Schutzpatrone wählte er den heiligen Josef und die heilige Elisabeth.
In den ersten Jahrzehnten ersparten die Zinsen aus dem Stiftungsguthaben von 300.000 Goldmark den Verantwortlichen alle Geldsorgen. Das Barvermögen verlor die Stiftung allerdings größtenteils infolge der Inflation, die den Wert der Mark bis Ende 1923 ins Bodenlose sinken ließ.
Medizinische Schwerpunkte seit 1918
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm man unterernährte und kranke Kinder aus dem Ruhrgebiet auf. Es gelang in Zusammenarbeit mit dem Landeskrüppelarzt Dr. Josef Lintel-Höping und der Hüfferstiftung in Münster, dem bestehenden Belegkrankenhaus ab 1922 eine Heilstätte für Knochen-, Drüsen- und Gelenktuberkulose anzugliedern. Wirtschaftlich gesehen bedeutete das die Rettung, weil für diese Patienten die öffentliche Hand bezahlte.
Gegen die Tuberkulose gab es damals keine wirksamen Medikamente. Bei den im St. Josef-Stift behandelten Krankheitsbildern hatte man aber gute Erfolge durch Freiluftbehandlung, kalorienreiche Ernährung und durch Ruhigstellung der betroffenen Glieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die Erkenntnis durch, dass Milch von Tbc-befallenen Kühen Hauptinfektionsweg für die Knochen- und Drüsentuberkulose ist. Zudem gab es inzwischen wirksame Medikamente. Seit Mitte der 1950er Jahre ging die Zahl der Neuerkrankungen rasch zurück.
Das St. Josef-Stift stand vor der Aufgabe, neue Betätigungsfelder zu suchen. Mit Dr. Heinrich Book übernahm 1960 ein Facharzt für Orthopädie die medizinische Leitung. Zusammen mit Dr. Friedrich Lohmann, seit 1957 Direktor des Stiftes, gelang ihm der Aufbau einer erfolgreich arbeitenden Fachklinik für Orthopädie, die sich im nordwestdeutschen Raum einen hervorragenden Ruf erwerben konnte. Sie verfügte über 256 Betten. Daneben bestand bis 1979 ein Belegkrankenhaus mit 50 Betten. 1979 übernahm Dr. Hans-Hermann Sundermann als Chefarzt die Leitung, 2004 Dr. Frank Horst.
Spezialisierung in der Rheumatologie und Ausbau
Mit der Schließung des Belegkrankenhauses konnte 1980 mit dem Aufbau einer zweiten Fachklinik, dem Nordwestdeutschen Rheumazentrum, begonnen und dafür der Rheumatologe Prof. Dr. Reinhard Fricke gewonnen werden. 1996 ging er in den Ruhestand und erhielt in Prof. Dr. Michael Hammer einen erfahrenen Nachfolger.
Eine fortschreitende Spezialisierung erwies sich als zukunftsweisender Schritt, der viele medizinische Erfolge ermöglichte. Eine chirurgische Fachabteilung für Rheumaorthopädie wurde bereits 1982 eingerichtet und von Prof. Dr. Rolf Miehlke aufgebaut, ab 2008 von Dr. Ludwig Bause weitergeführt. Im selben Jahr richtete Chefärztin Dr. Marie-Luise Schweppe-Hartenauer eine Abteilung für Anästhesie ein. Sie leitete auch die 1987 eröffnete Intensivstation. Ihr Nachfolger ist seit dem 1. Januar 2014 Dr. Matthias Boschin.
Die Klinik für Rheumatologie erfuhr am 1. Oktober 1989 eine weitere Differenzierung mit der Einrichtung einer Abteilung für Kinder- und Jugendrheumatologie unter der Leitung von Chefarzt Dr. Gerd Ganser. Der Klinik für Orthopädie wurde am 1. Januar 1992 eine Spezialabteilung für die Chirurgische Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen angegliedert, die der früh verstorbene Chefarzt Dr. Gerd Syndicus leitete. Sein Nachfolger ist seit 2005 Dr. Christan Brinkmann. Eine weitere Chefarztabteilung für ambulantes Operieren unter der Leitung von Chefarzt Dr. Carsten Radas kam 2001 hinzu.
Begleitet wurde die stete Entwicklung des Krankenhauses durch zahlreiche Erweiterungsbauten, die sich an die bauliche Keimzelle des St. Josef-Stiftes anschließen. Zu nennen ist hier zunächst das große Bettenhaus von 1972, zum Park hin gelegen mit 138 Betten in vier Stationen und einem großen Bewegungsbad im Sockelgeschoss. Im Jahre 2013 wurden umfangreiche Baumaßnahmen in die Wege geleitet mit dem Ziel, das Bettenhaus um eine Ebene aufzustocken und durch einen großen Erweiterungsanbau die einzelnen Ebenen zu vergrößern und attraktiver zu gestalten. Beide Gebäudeteile zusammen bilden dann den Südflügel, der bis zum Jahre 2017 abgeschlossen sein wird.
1993 konnte ein neues Funktionsgebäude in Betrieb genommen werden mit einer aufwändig ausgestatteten Abteilung für Physikalische Therapie (Physiotherapie, Ergotherapie und Kaltluftbehandlung) sowie mit Bereichen für Ambulanz und Diagnostik. In diesem Trakt befinden sich außerdem Operationssäle, die Intensivstation und eine Krankenstation mit 30 Betten. Auch das Funktionsgebäude musste in den Jahren 2012 bis 2014 erweitert werden, um weitere drei Operationssäle zu gewinnen und die Behandlungspfade zu optimieren.
Im Sommer 2005 schließlich wurde ein weiteres Bettenhaus, der Parkflügel, mit 128 Betten in vier Krankenstationen bezogen, das u. a. die Kinder- und Jugendrheumatologie, eine so genannte Übergangsrheumatologie sowie eine Station für Wahlleistungspatienten beherbergt.
Insbesondere dieser Neubau ist ein erster entscheidender Schritt zur Entwicklung von sorgfältig durchdachten Behandlungspfaden, die eine Steigerung der Behandlungs- und Pflegequalität bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermöglichen. Das neue Konzept dürfte ihnen mehr Zeit für den Patienten gewähren. Dem gleichen Ziel dienen auch enorme Investitionen im Bereich der EDV.
Es wurde bereits beiläufig auf den Park des Krankenhauses hingewiesen. Das ursprünglich nicht übermäßig große Krankenhausgelände konnte in den 1960er Jahren und dann nochmals 2001 durch Zukauf auf ungefähr 6,5 ha erweitert und zu einem schönen Park ausgestaltet werden. Seit langem gilt als besonderes Qualitätsmerkmal des St. Josef-Stiftes das Bemühen um eine Atmosphäre, die dem Patienten den Aufenthalt so angenehm wie möglich macht. Diesem Ziel dient auch der Park, der ursprünglich von dem Worpsweder Architekten für Gartengestaltung, Max Schwarz entworfen wurde, danach von dessen Nachfolger Rolf Gerdes betreut wurde und heute nach Plänen des Landschaftsarchitekten Stephan Schwarte weiterentwickelt wird.
Reha-Zentrum am St. Josef-Stift
Seit Anfang 2012 beschreitet das St. Josef-Stift neue Wege mit seinem Reha-Zentrum unter Leitung von Chefarzt Dr. Hartmut Bork. Die Einrichtung, die direkt am Standort der Akutklinik angesiedelt ist, bietet im großen Umkreis von Westfalen als einzige Klinik moderne Medizin und Rehabilitationsbehandlung aus einer Hand an. Der Vorteil für die Patienten: Nach der Versorgung mit einem künstlichen Hüft- oder Kniegelenk oder nach einer komplexen Wirbelsäulenoperation bleibt den Patienten ein belastender Ortswechsel erspart. Die so wichtige Therapie kann nach dem akutstationären Aufenthalt ohne Zeit- und Informationsverlust im Reha-Zentrum nahtlos fortgesetzt werden. Dieses Konzept kommt bei den Patienten so gut an, dass die 90 stationären und zehn ambulanten Reha-Plätze bereits nach kurzer Zeit so stark nachgefragt waren, dass die Geschäftsführung bereits 2013 ganz konkrete Pläne anstieß, das Reha-Zentrum zu verdoppeln auf dann 180 stationäre und 20 ambulante Reha-Plätze.
Stationäre Altenpflege
Josef Spithöver stiftete ursprünglich eine Einrichtung, die den Menschen in Sendenhorst Hilfe in der Not bringen sollte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus die Fachklinik mit einem sehr großen Einzugsgebiet. Es war nicht mehr ein Krankenhaus für Sendenhorst, allerdings wohl ein bedeutender Arbeitgeber. Um dem vorrangigen Anliegen des Stifters Josef Spithöver gerecht zu werden, wurde daher seit etwa 1994 der Aufbau einer Einrichtung für die stationäre Altenpflege angestrebt mit dem Ziel, alten und pflegebedürftigen Sendenhorstern zu ermöglichen, dass sie in der Nähe ihrer Familien und ihres Bekanntenkreises umsorgt in einem freundlichen Umfeld ihren Lebensabend verbringen. Ende Mai 1996 konnte der Grundstein für das St. Elisabeth-Stift gelegt werden, das im Sommer 1997 mit zunächst 48 Wohnplätzen und 12 Kurzzeitpflegeplätzen eröffnet wurde. Der große Bedarf zwang schon nach kurzer Zeit zu einer Erweiterung auf 60 Wohnplätze. Inzwischen wurde ein umfangreiches Pflege- und Betreuungsnetzwerk aufgebaut, das mit der Übernahme des St. Josefs-Hauses in Albersloh, des St. Magnus-Hauses in Everswinkel und des St. Josef-Hauses in Ennigerloh nunmehr auch die Ortsgrenze überschreitet. An allen vier Standorten bietet das Pflege- und Betreuungsnetzwerk in enger Zusammenarbeit mit dem St. Josef-Stift neben der stationären Altenpflege auch Betreutes Wohnen und Essen auf Rädern an; in Zusammenarbeit mit dem Dekanatscaritasverband Ahlen zudem ambulante Krankenpflege. Ergänzt wird das Netzwerk um das Palliativangebot und die Seniorenberatung der 2008 gegründeten Heinrich und Rita Laumann-Stiftung.
Link historische Augenblicke
(1) Heinrich Petzmeier, Sendenhorst, Geschichte einer Kleinstadt im Münsterland, Sendenhorst 1993,S. 362
(2) Ebd. S. 399
(3) Eine ausführliche Biographie liefert Elvira Ofenbach, Josef Spithöver. Ein westfälischer Buchhändler, Kunsthändler und Mäzen im Rom des 19. Jahrhunderts, Regensburg 1997
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